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kurzgeschichte - SpecFlash

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Bevor sie den roten Fleck auf der Seite sah,<br />

glaubte sich Marie in Sicherheit. Sie war diesem<br />

Mann – Edward – gefolgt, ohne ihren Verstand<br />

zu befragen. Warum auch? Jemand, dessen<br />

Parfüm nach Sandelholz und Zimt roch, konnte<br />

unmöglich ein schlechter Mensch sein.<br />

Und jetzt hackte er in der angrenzenden Küche<br />

Sellerie, während sie auf dieses Rot inmitten der<br />

farblosen Worte starrte. Sie legte ihren Handrücken<br />

auf die glühende Stirn, wischte die<br />

Schweißperlen weg, versuchte sich zu beruhigen.<br />

Vielleicht hatte er sich beim Lesen am<br />

Papier geschnitten. Vielleicht war das aufgeschlagene<br />

Buch neben ihm gelegen, als er ein<br />

blutiges Steak gebraten hatte. Oder. Er war ein<br />

Mörder.<br />

»Möchtest du dein Rind durch?« Reflexartig<br />

schlug sie das Buch zu, begrub den Fleck zwischen<br />

den Seiten. Hatte er ihn bemerkt? Sie sah<br />

in seine tiefbraunen Augen und, zum Glück,<br />

konnte sie keine Überraschung darin erkennen.<br />

Dafür loderten sie bei seinen nächsten Worten<br />

auf.<br />

»Oder willst du es blutig?« Ihr Atem erfror. Aus<br />

den Augenwinkeln sah sie die Haustür, ihre<br />

einzige Fluchtmöglichkeit. Davor musste er aber<br />

in die Küche verschwinden.<br />

»Ich mag es durch«, sagte sie deshalb und malte<br />

sich ein Lächeln aufs Gesicht.<br />

»Schön.« Er ging zurück, und Marie wollte<br />

gerade aufatmen, da hielt er inne und wandte<br />

sich ihr noch einmal zu.<br />

»Weißt du, es ist schon schade, dass du dein<br />

Fleisch nicht blutig willst. Es gibt doch nichts<br />

schöneres, wenn es so zart ist, dass man den Saft<br />

<strong>kurzgeschichte</strong> 61<br />

Der Fleck<br />

von Jan Nieswandt<br />

Jan Nieswandt - Der Fleck<br />

und das Blut in seinem Gaumen spielen spürt.«<br />

Sie krallte sich in das Polster des Sofas, auf dem<br />

sie saß.<br />

»Jeder hat einen anderen Geschmack.« Ihre<br />

Stimme zitterte, wie die Hand eines Parkinson-<br />

Patienten.<br />

»Stimmt. Aber es ist trotzdem schade, dass wir<br />

in der Beziehung anders ticken. Das lässt die<br />

Wahrscheinlichkeit sinken, dass wir füreinander<br />

bestimmt sind.« Er grinste, und seine Zähne<br />

blitzten auf. »Aber Gegensätze sollen sich ja<br />

anziehen.«<br />

Sie zwang sich zu einem Nicken.<br />

Endlose Sekunden lang studierte er ihr Gesicht,<br />

quälte sie mit seinem Blick. Dann nickte auch er,<br />

versuchte sie mit einem Lächeln zu besänftigen<br />

und verschwand in der Küche. Marie befahl sich<br />

aufzustehen, zu verschwinden, ehe der Mann<br />

mit ihr anstellte, was er zuvor angestellt hatte –<br />

mit dem Buch als einzigen Zeugen. Aber sie<br />

rührte sich nicht. Ihre Muskeln spannten an,<br />

wehrten sich vor ihrer Kontrolle. Sie spürte<br />

klebrige Tränen über ihre Wangen fließen und<br />

stellte sich vor, sie wären rot, und obwohl sie<br />

glasklar auf dem Sofa zerplatzten, blieb der<br />

Gedanke.<br />

Da zerbrach etwas dieses Bild – das Geräusch<br />

schwappte von der Küche zu ihr her. Fett. Auf<br />

Fleisch geriebenes Fett, mit diesen behaarten<br />

Händen, die in dem Café ihre gelesen hatten; die<br />

jetzt voll Blut sein mussten.<br />

Marie spürte Insekten über ihre Haut krabbeln,<br />

und endlich, endlich schaffte sie es, sich aufzurichten.<br />

Ihre Beine zappelten. Sie rannte los, und<br />

sie hätte schwören können, dass sich das Efeu-

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