Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW
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Etwas gegen Stadtflucht zu unternehmen bedeutet, etwas<br />
für die Qualität unserer Städte zu tun. Wenn wir die Arbeit<br />
<strong>und</strong> das Gewerbe in der Stadt halten wollen, brauchen wir<br />
gute urbane Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen.<br />
Eine Initiative ist dann erfolgreich, wenn sie gute Projekte generiert.<br />
Daher verstehe ich Baukultur nicht nur als Zitatenschatz.<br />
Unsere Initiative ist vor allem eine Initiative der Projekte.<br />
Projekte, die für das Land Nordrhein-Westfalen typisch <strong>und</strong> einzigartig<br />
sind. Das ist kein Plädoyer für Provinzialität. Schon zu<br />
Beginn unserer Initiative habe ich gesagt: „Interessant ist für uns<br />
der europäische Maßstab“. Aber das Lebenselixier der Baukultur<br />
ist der lokale Diskurs <strong>und</strong> der regionale Bezug. In der allgemeinen<br />
Gr<strong>und</strong>satzdiskussion <strong>und</strong> im „nur Schönen“ verhungert die<br />
Baukultur. Baukultur ist die Kunst, Städte <strong>und</strong> Regionen ihre<br />
Geschichte erzählen zu lassen. Deswegen, meine Damen <strong>und</strong><br />
Herren, ist sie weder staatlich verordneter Luxus noch ein Rahmen<br />
für den Darstellungsdrang einzelner Architekten, sondern ein<br />
zentrales Element der Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen.<br />
Nehmen wir z. B. die moderne Völkerwanderung ins Grüne. Sie<br />
ist nicht nur unökologisch, sondern auch teuer: Jeder verlorene<br />
Einwohner kostet die ohnehin gebeutelten Großstädte im Ruhrgebiet<br />
mehr als 2.000 Euro pro Jahr. Um etwas dagegen zu<br />
unternehmen, gibt es viele Instrumente:<br />
Ein sehr wirksames ist die Eigenheimzulage. Deshalb sind wir<br />
uns auch alle einig, dass die Eigenheimzulage dringend reformiert<br />
werden muss.<br />
Meine Damen <strong>und</strong> Herren, etwas gegen Stadtflucht zu unternehmen<br />
bedeutet, etwas für die Qualität unserer Städte zu tun.<br />
Wenn wir die Arbeit <strong>und</strong> das Gewerbe in der Stadt halten wollen,<br />
brauchen wir gute urbane Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen. Und<br />
ohne Baukultur werden wir unser architektonisches <strong>und</strong> ingenieurtechnisches<br />
Know-how in Zukunft nicht erfolgreich exportieren<br />
können.<br />
Die Norm für den Krümmungsgrad<br />
von Kleiderhaken in Kindergärten<br />
geht zurück auf ein Votum<br />
der Versicherungswirtschaft.<br />
Unsere Haltung zu Europa ist widersprüchlich. Europa hat leider<br />
noch immer das Image, für viel Bürokratie <strong>und</strong> für wenig Effizienz<br />
zu sorgen; für viel finanziellen Input <strong>und</strong> wenig wirkungsvollen<br />
Output. Es ist paradox: Wir erleben immer häufiger, dass Europa<br />
uns auffordert, interne nationale bürokratische Hemmnisse zu<br />
beseitigen, da sie den europäischen Wettbewerb behindern.<br />
Beides ist real. Einerseits wird uns allen ein bestimmter Mindestwert,<br />
eine europaweite Ausschreibung, abverlangt. Andererseits<br />
stellt Europa nationale Regeln, die Verfahren komplizieren, zur<br />
Disposition.<br />
Das bedingt eine weitere Widersprüchlichkeit, die typisch deutsch<br />
ist: Denn wir Deutschen sind in der Regel „Revolutionäre im<br />
Allgemeinen“ <strong>und</strong> „Bewahrer im Konkreten“. Das gilt besonders,<br />
wenn es um Subventionsabbau geht. So ist jedem Redner<br />
donnernder Applaus sicher, wenn er pauschal den Abbau von<br />
Subventionen fordert. Für jede einzelne, konkrete Maßnahme, die<br />
man umsetzen will, wird man aber von den selben Leuten kritisiert.<br />
Die Architekten sind bekannt dafür, dass sie professionelle Individualisten<br />
sind. Besonders prägnante Vertreter des Zeitgeistes, die<br />
nichts so sehr hassen wie Bürokratie, Formulare <strong>und</strong> Ärmelschoner.<br />
Und die deswegen den Abbau von Bürokratie enthusiastisch fordern.<br />
Es ist aber nicht immer nur der „böse“ Staat, der bürokratisch<br />
anmutende Normen erfindet. Ein Beispiel: Die Norm für den<br />
Krümmungsgrad von Kleiderhaken in Kindergärten geht zurück<br />
auf ein Votum der Versicherungswirtschaft. Sie sehen also, es ist<br />
nicht immer der Staat, der entsprechende Normen einführt <strong>und</strong><br />
diese bis aufs Blut verteidigt.<br />
Dieses Beispiel zeigt: Wer die Regulierungswut der Bürokratie<br />
beschimpft, ist längst nicht vor Regulierungssucht gefeit, wenn<br />
es um die eigenen Interessen geht.<br />
Das ist eine Erfahrung, die ich seit meinem Amtsantritt immer<br />
wieder gemacht habe. In diesem Kontext gibt es drei Normwerke,<br />
welche im Moment zur Diskussion stehen: Die VOB, das Baukammerngesetz<br />
<strong>und</strong> die HOAI.<br />
In allen drei Fällen sind die Architekten leider nicht auf Seiten<br />
der Deregulierer, die sich dafür einsetzen, Vorschriften abzubauen<br />
<strong>und</strong> die Entscheidungen dem Markt zu überlassen. Stattdessen<br />
gehen sie schon auf die Barrikaden, wenn einmal laut über<br />
derartige Schritte nachgedacht wird. 1995, kurz bevor ich Bauminister<br />
wurde, hat es dazu die erste <strong>und</strong> bislang letzte<br />
Demonstration gegeben. Sie richtete sich damals aber nicht gegen<br />
meine Person, sondern noch gegen meine Vorgängerin. Damals<br />
war ich auf Ihrer Seite; <strong>und</strong> das bin ich auch heute noch, wie Sie<br />
gleich sehen werden:<br />
Die Architekten demonstrierten damals gegen eine Deregulierungsvorschrift<br />
in der Landesbauordnung. Sie besagte, dass die staatliche<br />
Bauaufsicht durch staatlich anerkannte Sachverständige<br />
unterstützt werden sollte. Aus heutiger Sicht müssen wir uns<br />
eingestehen, dass sich diese Vorschrift, die wir – ich in der<br />
Opposition <strong>und</strong> Sie auf der Straße – so erbittert bekämpft<br />
haben, mittlerweile bewährt hat <strong>und</strong> mancher Kassandra-Ruf<br />
von damals im Nachhinein wohl voreilig war. Gestatten sie mir,<br />
ganz kurz auf das Baukammerngesetz <strong>und</strong> die HOAI einzugehen: