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Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Es entspricht ja durchaus parlamentarischem Sprachgebrauch,<br />

„Freiheit“ zu sagen <strong>und</strong> freien Warenverkehr zu meinen, „Kultur“<br />

zu sagen <strong>und</strong> nichts zu meinen oder jenen Phantomschmerz, der<br />

an eine verlorene Funktion <strong>und</strong> Qualität erinnert. Waren denn<br />

Film, Mode, Musik nicht immer grenzübergreifend, nicht immer<br />

Weltkünste? Seit Jahrh<strong>und</strong>erten stellen sich Künstler zuerst in<br />

den Dienst der Nationalkulturen, danach erstreben sie internationale<br />

Anerkennung <strong>und</strong> verfolgen ihre Ausbreitung in Verfahren,<br />

die zwischen Kultur <strong>und</strong> Wirtschaft sehr ähnlich geworden sind.<br />

Auch die Kunstverwalter wissen genau, dass sich Länder längst<br />

weniger durch ihre Kultur als durch ihre Ökonomie definieren<br />

lassen <strong>und</strong> dass auch ein vereintes Europa keine kulturelle<br />

Allianz sein wird, die dem etwas hinzufügt, was wir haben. Gibt<br />

es etwa nicht genug Lohengrin in Lüdenscheid, nicht genug<br />

Pavarotti in Paderborn, <strong>und</strong> was der Alliterationen mehr sind?<br />

Welche grenzüberschreitenden Initiativen flächendeckender<br />

Berieselung lassen sich noch verwünschen? Und sieht man nicht<br />

schon die Archäologen der Zukunft mit dem Mikroskop über<br />

unseren Hinterlassenschaften: Schaun Sie hier, die Toastbrotverpackungen,<br />

die Silberlinie der finnischen Gardisette-Gardine –<br />

unverkennbare, endemische Nationaleigentümlichkeiten…<br />

Die Franzosen verbrauchen, laut Gerard Mermet, am meisten Pantoffeln, die Italiener verschicken<br />

am meisten Telegramme, die Deutschen produzieren die größte Vielfalt an Würsten,<br />

die Italiener geben für Kleidung dreimal so viel aus wie die Iren <strong>und</strong> Engländer, in ganz<br />

Europa gibt es mehr Fernsehgeräte als Badewannen.<br />

Statistisch ist dieses Europa gut unterscheidbar. Die Franzosen<br />

verbrauchen, laut Gerard Mermet, am meisten Pantoffeln, die<br />

Italiener verschicken am meisten Telegramme, die Deutschen produzieren<br />

die größte Vielfalt an Würsten, die Italiener geben für<br />

Kleidung dreimal so viel aus wie die Iren <strong>und</strong> Engländer, in ganz<br />

Europa gibt es mehr Fernsehgeräte als Badewannen. Und 12 %<br />

aller Europäer glauben, die Sonne drehe sich um die Erde.<br />

Das ist Statistik, in Wirklichkeit rückt unterdessen die kulturelle<br />

Einheit in immer weitere Ferne: Das Fernsehen reduziert seine<br />

Auslandsberichterstattung, aus den Kinos verschwinden die<br />

Filme der europäischen Nachbarn, <strong>und</strong> auch im Musik- <strong>und</strong> im<br />

Buchwesen tauschen die Europäer weit weniger untereinander<br />

als sie aus den USA importieren.<br />

Bei allen wirtschaftlichen Allianzen, vereinfachten <strong>und</strong> verschärften<br />

Fre<strong>und</strong>schaftsverhältnissen wird zwar nachdrücklich versichert,<br />

der „wirtschaftliche Interessenausgleich“ – so heißt das –<br />

werde den Souveränitätsstatus der Länder nicht angreifen. Aber<br />

wir pflegen diese Souveränität ja nun schon seit Jahrzehnten als<br />

Fata Morgana, d.h. kaum kommt es drauf an, haben wir sie nicht<br />

mehr, <strong>und</strong> so wissen wir kaum noch, worin sie eigentlich besteht.<br />

Da war es beruhigend, zur Einführung des Euro zu hören, die<br />

„ethnischen, historischen, kulturellen, politischen, rechtlichen,<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Eigenheiten“ der Länder sollten<br />

intakt bleiben. Welche Eigenheiten haben wir eigentlich sonst<br />

noch? Und alle unangetastet von der Vereinigung?<br />

„Europatriotismus – Zur Metamorphose eines Ideals“ Dr. Roger Willemsen<br />

Wirtschaftliche Eigenheiten bestimmt, wie wir wissen, kein frommer Wunsch, sondern die<br />

gesetzliche Festlegung des Erlaubten. Bleiben die sozialen Eigenheiten, die von den wirtschaftlichen<br />

so gründlich angetastet werden, dass man schon von Formung sprechen muss.<br />

Zunächst fällt es schwer, sich eine „intakte ethnische Eigenheit“<br />

vorzustellen. Entweder wird damit das Recht auf das öffentliche<br />

Tragen von Lederhosen garantiert, dann haben wir allen Gr<strong>und</strong><br />

dankbar <strong>und</strong> uninteressiert zu sein, oder es deutet sich eine Initiative<br />

gegen Mischehen an. Historische Eigenheiten sind schon<br />

deshalb unantastbar, weil sie historisch sind, kulturelle Eigenheiten<br />

haben wir nicht, sieht man von Dingen ab, die schon deshalb<br />

niemand antasten wird, weil sie ungenießbar sind, <strong>und</strong> diesem<br />

Verdikt sind in der Vergangenheit nicht einmal die Fischer-Chöre<br />

verfallen. Politische Eigenheiten werden gerade planiert. Einen<br />

Minister mit Fliege hat heute schon jedes Land. Rechtliche Eigenheiten<br />

darf man kaum sagen, sonst hört es sich an, als ginge es<br />

nicht rechtens zu. Wirtschaftliche Eigenheiten bestimmt, wie wir<br />

wissen, kein frommer Wunsch, sondern die gesetzliche Festlegung<br />

des Erlaubten. Bleiben die sozialen Eigenheiten, die von den<br />

wirtschaftlichen so gründlich angetastet werden, dass man schon<br />

von Formung sprechen muss.<br />

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