Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW
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Unruhen, von Stammeskriegen; von Konflikten um Rohstoffe; von<br />
der Chaotik zerfallender, in die Anarchie abstürzender Staaten.<br />
Angesichts der Berichte aus dem Kongo, aus Sierra Leone oder<br />
aus dem Sudan besteht leider kein Zweifel, dass Kaplan mit seiner<br />
Analyse zumindest teilweise recht hat. Ähnlich hat uns ja auch<br />
Hans-Magnus Enzensberger den „Weltbürgerkrieg“ prophezeit.<br />
Meine Damen <strong>und</strong> Herren, ich möchte mich keinem dieser drei<br />
Unheils-Szenarien voll anschließen. Wahrscheinlich hat keiner der<br />
Autoren ganz Recht <strong>und</strong> keiner ganz Unrecht. Wir könnten von<br />
allem etwas erleben: von Demokratisierung <strong>und</strong> Befriedung<br />
ebenso wie vom Kampf der Kulturen <strong>und</strong> den Beben, die von<br />
bankrotten Staaten ihren Ausgang nehmen. Wenn wir uns die<br />
Welt ansehen, wie sie ist, nicht wie sie sein könnte, oder sein<br />
müsste – was erblicken wir?<br />
II. Die neue Welt-Unordnung<br />
Das globale Machtmuster hat sich seit dem Ende des Kalten<br />
Krieges f<strong>und</strong>amental verändert. In dem halben Jahrh<strong>und</strong>ert des<br />
Ost-West-Konflikts richteten sich die Staaten alle wie Feilspäne<br />
im Feld eines Magneten nach einem der beiden Pole Washington<br />
oder Moskau aus. Die Welt war in zwei Lager geteilt. Die Existenz<br />
der Atombombe auf beiden Seiten schreckte die Supermächte<br />
USA <strong>und</strong> UdSSR samt ihren Verbündeten von unbedachten<br />
Handlungen ab. In der direkten Konfrontationszone bewahrte dies<br />
den Frieden; an der Peripherie aber blieben die Stellvertreterkriege<br />
begrenzt. Der Westen wurde durch die existentielle Bedrohung<br />
zusammengeschweißt, die von der Sowjetunion ausging.<br />
„Perspektiven eines freien Weltmarktes in einer neuen Weltordnung“ Dr. Theo Sommer<br />
Amerika <strong>und</strong> Westeuropa hatten wohl ihre Differenzen <strong>und</strong><br />
Schwierigkeiten miteinander, doch kehrten sie diese, wenn keine<br />
Lösung gef<strong>und</strong>en wurde, immer wieder unter den Teppich – der<br />
Zwang zu Einigkeit <strong>und</strong> Geschlossenheit im Angesicht der kommunistischen<br />
Herausforderung war stärker.<br />
Vor zwölf Jahren, Ende 1991, hat sich die Sowjetunion aufgelöst;<br />
das kommunistische System wanderte auf den Müllhaufen der<br />
Geschichte. Seitdem gibt es nur noch einen weltpolitischen Pol,<br />
die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie sind die „einzig verbliebene<br />
Supermacht“. Und sie stehen seitdem in der Versuchung,<br />
ihre beispiellose Alleinstellung, ihre unipolare Vormachtstellung<br />
zur globalen Hegemonie auszubauen. Seit dem Römischen Reich<br />
hat es eine derartige Machtfülle im Besitz eines einzigen Staates<br />
nicht mehr gegeben.<br />
Eine Folge dieses Sachverhaltes zeigte sich schon vor dem<br />
11. September: Die Standpunkte der Vereinigten Staaten <strong>und</strong> vieler<br />
Europäer begannen auseinanderzuklaffen. Die Amerikaner erlaubten<br />
sich eine Fülle von Alleingängen <strong>und</strong> sagten Nein zu vielem,<br />
was den Europäern lieb <strong>und</strong> teuer ist. So sagten sie schon unter<br />
Clinton Nein zur Ächtung der Landminen <strong>und</strong> zu einem umfassenden<br />
Atomversuchsstopp. Und unter George W. Bush sagten sie<br />
Nein zum Kyoto-Protokoll über den Klimaschutz; Nein zur Kontrolle<br />
des Kleinwaffenhandels; Nein zu einem Abkommen, das die<br />
Kontrolle über das Verbot von biologischen Waffen gewährleisten<br />
soll; Nein schließlich zum ABM-Vertrag, der 1972 die Raketenabwehrsysteme<br />
der Mächte begrenzte.<br />
Es ist diese Kombination von<br />
Allmachtsbewusstsein, Verletzlichkeitsgefühl<br />
<strong>und</strong> heilsgeschichtlich inspiriertem<br />
Missionsdrang, die Amerika<br />
heute von Europa unterscheidet,<br />
jedenfalls von Kontinentaleuropa.<br />
Dann kam der 11. September. Er fügt dem Gefühl der Allmacht<br />
<strong>und</strong> Unbesiegbarkeit eine neue Facette hinzu: das Gefühl der<br />
enormen Verletzlichkeit. Zu beidem trat dann unter Bush II noch<br />
ein quasi-religiöses Element hinzu: Die Welt wurde in Gut <strong>und</strong><br />
Böse eingeteilt. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, lautete die<br />
neue Devise.<br />
Es ist diese Kombination von Allmachtsbewusstsein, Verletzlichkeitsgefühl<br />
<strong>und</strong> heilsgeschichtlich inspiriertem Missionsdrang, die<br />
Amerika heute von Europa unterscheidet, jedenfalls von<br />
Kontinentaleuropa. Leute wie Donald Rumsfeld, die über Old<br />
Europe höhnen, merken dabei gar nicht, dass auf die derzeitige<br />
Washingtoner Geisteshaltung das Etikett Old Europe viel eher<br />
zutrifft. Es verlässt sich am liebsten auf die eigene rohe Kraft –<br />
wie vor Zeiten Europa. Es pocht auf Handlungsfreiheit <strong>und</strong> ignoriert<br />
dabei die Vereinten Nationen ebenso wie viele alte<br />
Verbündete. Und es untermauert seinen Hegemonie-Anspruch<br />
durch eine neue Strategie, die pre-emption, vorweggenommene<br />
Präventivschläge, zum Prinzip erhebt, notfalls auch mit Einsatz<br />
von Atomwaffen. Es triumphiert der hochmütige Satz der<br />
Athener gegenüber den Meliern: „Der Starke tut, was er kann,<br />
die Schwachen tun, was sie müssen.“<br />
Was die Sache so bedenklich macht, ist nicht der Fall Irak, obwohl<br />
wir heute wissen, dass die angegebenen Kriegsgründe an den<br />
Haaren herbeigezogen waren. Der Realist wird einer Großmacht<br />
immer zugestehen, dass sie im Einzelfall, wenn sie sich existenziell<br />
bedroht wähnt, das Heft in die Hand nimmt <strong>und</strong> die tatsächliche<br />
oder eingebildete Gefahr im Alleingang abwendet.<br />
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