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Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Die „vaterlandslosen Gesellen“ sind nicht mehr, wie vor h<strong>und</strong>ert<br />

Jahren, die Proletarier. Heute sind es die Unternehmer, die Banker,<br />

die Versicherungschefs, die ungeniert mit der Verlegung ihres<br />

Firmensitzes ins Ausland drohen.<br />

Eine dritte Ursache erklärt die heftige Reaktion auf den Turbo-<br />

Kapitalismus der jüngsten Zeit: die Überheblichkeit, Skrupellosigkeit<br />

<strong>und</strong> Unredlichkeit vieler Unternehmenslenker. Damit meine ich<br />

vor allem die haarsträubenden Skandale der letzten Jahre, die<br />

nicht nur in Amerika ein moralisches Defizit der Managerklasse<br />

offenbart haben, das nicht mehr mit dem Argument beschönigt<br />

werden kann, es handele sich bloß um Ausnahmen <strong>und</strong> Auswüchse.<br />

Enron, World Com, Global Crossing, Citygroup, Arthur Andersen,<br />

Merryl Lynch, McCann-Erickson, Flowtex, Tyco International,<br />

HealthSouth, dazu bei uns die Fälle Haffa, Ixoc, Mobilcom, in der<br />

Schweiz den Fall Famed, in Holland die Affäre Ahold – so viel<br />

Wirtschaftsgaunerei hat es seit dem Zeitalter der robber barons<br />

nicht mehr gegeben. Große Energieunternehmen, große Wirtschaftsprüfungssozietäten,<br />

große Werbeagenturen, große Rating-<br />

Agenturen, die Bank-Analysten: alle sitzen auf der Anklagebank.<br />

Im Zeitalter der Globalisierung ist offensichtlich das Raffke-<br />

Denken grenzüberschreitend.<br />

Auch andere Erscheinungen haben das Vertrauen in die Redlichkeit<br />

unserer Wirtschaftslenker unterminiert. Ich nenne nur drei: ihre<br />

kalte Vaterlandslosigkeit; ihre oft löchrige Steuermoral <strong>und</strong> ihre<br />

ungenierte Selbstbedienungsmentalität.<br />

Vaterlandslosigkeit: Die „vaterlandslosen Gesellen“ sind nicht<br />

mehr, wie vor h<strong>und</strong>ert Jahren, die Proletarier. Heute sind es die<br />

Unternehmer, die Banker, die Versicherungschefs, die ungeniert<br />

mit der Verlegung ihres Firmensitzes ins Ausland drohen.<br />

Des Weiteren hat die windige Steuermoral vieler Firmen <strong>und</strong><br />

Firmenchefs dazu beigetragen, das Ansehen der Zunft zu unter-<br />

„Perspektiven eines freien Weltmarktes in einer neuen Weltordnung“ Dr. Theo Sommer<br />

Der Markt hat für viele Probleme überzeugende<br />

Lösungen, aber keineswegs für alle<br />

Probleme. Niemand kann heute noch glauben,<br />

dass der Markt automatisch soziale<br />

Gerechtigkeit schafft oder eine ausreichende<br />

Zahl von Arbeitsplätzen bereitstellt.<br />

graben. Großkonzerne wie Siemens, BMW oder Daimler-Benz<br />

haben jahrelang keine oder nur lächerlich geringe Ertragssteuern<br />

an den deutschen Fiskus abgeführt, sich andererseits nicht gescheut,<br />

Milliardensummen an staatlichen Aufträgen, staatlichen<br />

Forschungszuschüssen <strong>und</strong> staatlichen Bürgschaften für ihre<br />

Auslandsgeschäfte entgegenzunehmen.<br />

Dem Ruf der Wirtschaftskapitäne hat auch nicht sonderlich gut<br />

getan, dass sie oft in ein <strong>und</strong> derselben Bilanzpressekonferenz<br />

den Abbau ihrer Belegschaften <strong>und</strong> zugleich die Erhöhung der<br />

Gewinne <strong>und</strong> Dividenden bekannt gaben. Jedes Mal, wenn sie<br />

Massenentlassungen ankündigten, stiegen die Aktienkurse ihrer<br />

Firmen. Mag da auch die kalte Logik der Ökonomie walten –<br />

nicht nur auf den kleinen Mann muss sie pervers wirken.<br />

Schließlich die ungenierte Selbstbedienungsmentalität. In der Tat<br />

vollzieht sich ja in der Einkommensverteilung eine unges<strong>und</strong>e<br />

Polarisierung. Es ist bei uns noch nicht so schlimm wie in Amerika,<br />

wo die Durchschnittsvergütung der Spitzenmanager seit 1970<br />

vom 35fachen des durchschnittlichen Arbeitslohns auf das<br />

500fache angestiegen ist (nach Paul Krugmann). Lange Zeit hat<br />

das Publikum den üppig dotierten Chefs zugejubelt. Jetzt herrscht<br />

eher Unverständnis vor, da die Bezüge meist in keinem Verhältnis<br />

zum Unternehmensergebnis stehen. Das Unverständnis schlägt<br />

in Empörung um, wenn golden handshakes wie die 60 (oder<br />

110?) Millionen für den Mannesmann-Chef Esser nach dem<br />

Verkauf der Firma an Vodafone verdächtig nach abgekartetem<br />

Spiel riechen. Und der Unmut wird dadurch noch weiter angeheizt,<br />

dass viele Firmen sich weigern, die Bezüge ihrer Top-Leute<br />

offen zu legen – was eigentlich ein selbstverständlicher Teil der<br />

Shareholder-Kultur sein müsste.<br />

Die Zwänge der Globalisierung, die unaufhörliche technische Innovation,<br />

selbst die Schnödigkeit mancher Wirtschaftsführer wären<br />

keine Zeile wert, wenn diese drei Phänomene nicht allesamt das<br />

Krebsgeschwür der Massenarbeitslosigkeit nährten. In den letzten<br />

Jahren hielt sich die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland hartnäckig<br />

in der Nähe von vier Millionen. Heute beträgt sie nach einem<br />

vorübergehenden Rückgang wiederum 4,5 Millionen, 10,4 Prozent,<br />

<strong>und</strong> im Winter könnten es fünf Millionen werden.<br />

Man sieht an alledem: Der Markt hat für viele Probleme überzeugende<br />

Lösungen, aber keineswegs für alle Probleme. Niemand<br />

kann heute noch glauben, dass der Markt automatisch soziale<br />

Gerechtigkeit schafft oder eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen<br />

bereitstellt; dass er dem Verbraucher nur risikofreie Güter<br />

beschert; oder dass er fähig sei, sozialökonomische Verwerfungen<br />

auszugleichen, wie sie das Marktgeschehen durch Boom <strong>und</strong><br />

Flaute, Überhitzung, Stagnation <strong>und</strong> Zusammenbruch produziert.<br />

Die Logik der Wirtschaft kann auf Dauer nicht die Oberhand<br />

behalten, wenn dahinter nicht eine Ethik der Wirtschaft sichtbar<br />

wird, die im Einklang mit dem Empfinden der Gesellschaft steht.<br />

Die Schwächen des Kapitalismus sind in einem Augenblick sichtbar<br />

geworden, in dem er vor seiner größten historischen Herausforderung<br />

steht: r<strong>und</strong> um den Globus ein Wirtschaftssystem zu errichten,<br />

das allen 200 Staaten der Weltgemeinschaft eine faire Chance<br />

bietet, der Armut zu entkommen <strong>und</strong> zu Wohlstand zu gelangen.<br />

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