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Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang, an einen philosophischen<br />

Dialog des Dichters <strong>und</strong> Philosophen Paul Valéry aus dem<br />

Jahr 1921 zu erinnern: „Eupalinos oder der Architekt“. Hier<br />

werden zwei Gestalten der Antike heraufbeschworen, die wir aus<br />

dem corpus platonicum kennen, Sokrates auf der einen Seite,<br />

Phaidros auf der anderen. So ganz zufällig ist dieses Personal<br />

nicht gewählt, denn die beiden hatten in der Antike miteinander<br />

eine unvollendete Liebesgeschichte, so dass es plausibel scheint,<br />

sie unter veränderten Bedingungen noch einmal zusammentreffen<br />

zu lassen. Man erinnert sich: Phaidros war der einzige junge<br />

Mann, dem gegenüber Sokrates momentan die Kontrolle verlor,<br />

damals, in einer berühmten Passage des gleichnamigen Dialogs,<br />

in dem Sokrates bei einer Promenade außerhalb der Stadt einen<br />

Hauch von dionysischer Rührung verspürte – ein Zugeständnis,<br />

das Plato ansonsten nicht leicht zu machen bereit war.<br />

Ausgerechnet dieser Phaidros ist also zur Stelle, wenn es gilt,<br />

über <strong>Architektur</strong> zu reden. Und warum? Weil es beim Häuserbauen<br />

um ein Problem der Liebe geht – zumindest mittelbar <strong>und</strong><br />

hintergründig. Der Totalitarismus der <strong>Architektur</strong> ist ein<br />

Totalitarismus der Liebe, der Raumliebe, der Hingerissenheit<br />

durch das, was uns nicht nur gegenüber ist, sondern uns wie<br />

eine Hülle umgibt. <strong>Architektur</strong> artikuliert das (von Bachelard so<br />

genannte) topophile Gefühl, indem sie den Raum herzustellen<br />

versucht, an dem man „ganz aufmacht“. Sein Haus bauen – das<br />

heißt den Ort <strong>und</strong> die Hülle erzeugen, wo man sich hingibt.<br />

Diese Auslieferung an die gebaute Umgebung ist etwas, was<br />

man üblicherweise als Eigenheim missversteht – doch erfahren<br />

wir bei Paul Valéry Gründe, dieser oberflächlichen Deutung des<br />

Wohnens zu misstrauen.<br />

Der neue platonische Dialog, verfasst in der Zeit des Bauhauses<br />

von Weimar <strong>und</strong> der frühen Entwürfe von Le Corbusier, stellt<br />

meines Wissens das erste luzide Dokument dessen dar, was man<br />

die Immersionsdämmerung des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts nennen könnte.<br />

Acht Jahre später nimmt der junge Heidegger in Sein <strong>und</strong> Zeit<br />

den Faden seiner Analyse des In-der-Welt-Seins <strong>und</strong> des<br />

Gestimmtseins auf – eine Provokation, der Heideggers Lehrer<br />

Husserl etwas später (in dem Krisis-Werk von 1936) die Analyse<br />

der „Lebenswelt“ entgegenstellen wird. 1921 bereits lässt Valéry<br />

in Eupalinos Sokrates Folgendes sagen:<br />

„Es reizt mich, über die Künste zu schwätzen. Eine Malerei, lieber<br />

Phaidros, bedeckt nur eine Oberfläche, die einer Bildtafel<br />

oder einer Mauer, aber ein Tempel, wenn man an ihn herantritt<br />

oder gar das Innere dieses Tempels, bildet für uns eine Art von<br />

vollständiger Großheit, in der wir leben. Wir sind dann, wir<br />

bewegen uns, wir leben im Werk eines Menschen. Wir sind<br />

ergriffen <strong>und</strong> gemeistert von den Verhältnissen, die er gewählt<br />

hat, wir können ihm nicht entgehen.“<br />

Der Totalitarismus der <strong>Architektur</strong> ist ein<br />

Totalitarismus der Liebe, der Raumliebe, der<br />

Hingerissenheit durch das, was uns nicht nur<br />

gegenüber ist, sondern uns wie eine Hülle<br />

umgibt.<br />

Hier ist das totalitäre Motiv klar ausgesprochen. Im übrigen<br />

hören Sie in der Rede des Sokrates – etwas anachronistisch –<br />

eine Anspielung auf die Ansprache des Paulus auf dem Areopag<br />

von Athen, (nachzulesen im 17. Kapitel der Apostelgeschichte<br />

des Neuen Testaments), wo Paulus in einem tollkühnen theologischen<br />

Piratenstück den unbekannten Gott der Griechen, (für den<br />

zu Athen ein Altar errichtet war – man weiß ja nie), für seinen<br />

Herrn Christus reklamiert. Paulus, der größte aller Piraten, suchte<br />

die schwache Stelle im Pantheon der Griechen <strong>und</strong> wurde fündig.<br />

Woraufhin er den Athenern zu verstehen gibt: Auch ihr, Bürger<br />

dieser stolzen Stadt, habt, ohne ganz zu wissen, was Ihr tut,<br />

bereits den wahren Gott verehrt, nämlich den unbekannten, dessen<br />

Pseudonym heute zu lüften ich die Ehre habe. Und hier folgt die<br />

großartige Formel von dem Gott, in dem wir leben, weben <strong>und</strong><br />

sind – jetzt zitiere ich die Lutherübersetzung, die den älteren<br />

Sprechern des Deutschen, soweit sie im protestantischen Kulturäther<br />

aufgewachsen sind, noch im Ohr sein dürfte. „In ihm leben<br />

wir, weben wir <strong>und</strong> sind wir“ – das ist die unüberbietbare Gr<strong>und</strong>aussage<br />

christlicher Raumphilosophie. Mit ihr ist gesagt, dass<br />

Menschen nicht einfach so in der Welt sind, wie die Kieselsteine<br />

<strong>und</strong> andere in sich verschlossene Entitäten in ihr herumliegen.<br />

Menschen sind ekstatisch in der Welt, sie sind im Modus der<br />

Weltoffenheit da, <strong>und</strong> offen sein heißt, beim Hiersein zugleich an<br />

anderer Stelle zu sein – dort <strong>und</strong> da in einem. Das geht so weit,<br />

dass man die Menschen oder ihre Seelen, der theologisch zugespitzten<br />

Aussage gemäß, geradezu in Gott sein <strong>und</strong> leben lässt,<br />

das heißt in einem Gegenraum, einem Überraum, der den profanen<br />

<strong>und</strong> physikalischen Raum durchdringt. Eben diese Aussage –<br />

oder besser eine Variante von ihr – legt Valéry nun seinem Sokrates<br />

in den M<strong>und</strong>, indem dieser davon spricht, dass wir, wenn wir uns<br />

in einem Gebäude aufhalten, im Werk eines Menschen leben,<br />

uns in ihm bewegen <strong>und</strong> in ihm sind. Valéry weiß genau, was er<br />

zitiert, <strong>und</strong> indem er Paulus indirekt das Wort gibt, macht er sich<br />

gewissermaßen die theologische, die psychosemantische <strong>und</strong><br />

immunologische Definition des Hauses zu eigen.

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