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Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Es ist, als ob das kollektive Gedächtnis die intuitive Einsicht<br />

bewahrt hätte, dass je größer die Immersionen in zusammenfassenden<br />

Einheiten formatiert sind, desto stärker die totalitäre<br />

Versuchung in den Vordergr<strong>und</strong> tritt. Es zeigt sich heute, dass die<br />

Menschen der zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts vom Reichebauen<br />

gar nichts mehr halten. Sie scheinen nach der Devise zu<br />

leben, nie wieder Erfolgsgeschichte im Großen. Sie ziehen es vor,<br />

sich auf Baumärkten die Elemente zusammenzusuchen, die ihnen<br />

helfen, sich gegen totalitäre Immersionen zu immunisieren. Es<br />

scheint ihnen unmittelbar evident, dass sie ihre Glückszusammenhänge<br />

in kleineren <strong>und</strong> privateren Formaten weben müssen. So<br />

gesehen sind die Baumärkte die eigentlichen Garanten der<br />

Demokratie. In ihnen hat der Antitotalitarismus des Alltags seine<br />

populäre Stütze. Die Moral dieser Geschichte liegt auf der Hand.<br />

Expressis verbis hieße sie: „Wohnt bei euch selbst <strong>und</strong> verweigert<br />

die Immersion in falschen Kollektiven! Wohnt nicht in der völkischen<br />

Totale. Lasst euch nicht auf Übervergesellschaftungen ein,<br />

möbliert euch bei euch selber, übernehmt Verantwortung für den<br />

Mikrototalitarismus eurer Wohnverhältnisse. Und vergesst nie:<br />

In euren Wohnungen seid ihr unfehlbare Päpste eures eigenen<br />

schlechten Geschmackes.“<br />

Die Zeit ist zu weit fortgeschritten, als dass ich Ihnen noch<br />

Näheres über die zeitgemäße Ausbalancierung des Totalitarismus<br />

des Wohnens durch pluralistische Techniken vortragen könnte.<br />

Gern hätte ich einiges ausgeführt über die Dialektik zwischen<br />

den beiden signifikantesten Bauformen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />

den Einzimmerwohnungen <strong>und</strong> den Sportarenen – den Isolatoren<br />

<strong>und</strong> Kollektoren, den Kapseln für die Einzelnen <strong>und</strong> die kleinen<br />

Einheiten <strong>und</strong> den Hüllen für die Vielen <strong>und</strong> die großen<br />

Versammlungen. Im Rahmen eines umfangreichen Buches (das<br />

unter dem Titel Sphären III, Schäume im Spätherbst 2003<br />

erscheint) habe ich jüngst eine Untersuchung vorgelegt über das,<br />

was ich die grauen Symbiosen nenne. Damit bezeichne ich<br />

Zusammenkünfte von der Art der hier (auf Jersey) stattfindenden.<br />

Graue Symbiosen sind Tageszusammenkünfte, hinter denen kein<br />

fanatisches Feuer brennt. In der Systemtheorie bezeichnet man<br />

solche Situationen als symbiotisch, zu deren Durchführung die<br />

Teilnehmer physisch anwesend sein müssen. Kirchengeschichtler<br />

kennen für die physische Zusammenkunft der Würdenträger den<br />

Ausdruck „Synode“ – nach dem griechischen „synodos“, die<br />

Zusammenkunft. „Hodos“ heißt der Weg, „synodos“ bezeichnet<br />

die Tatsache, dass man, um hier zusammenzusein, Wege zurück-<br />

Es zeigt sich heute, dass die Menschen der zweiten<br />

Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts vom Reichebauen gar<br />

nichts mehr halten. Sie scheinen nach der Devise zu<br />

leben, nie wieder Erfolgsgeschichte im Großen.<br />

legen musste. Nachdem dies gesagt ist, können wir anerkennen,<br />

dass die moderne Gesellschaft prinzipiell asynodisch verfasst ist,<br />

denn soziale Ensembles modernen Typs sind nicht als ganze<br />

tagungsfähig, aus vielfältigen Gründen. Einer davon ist architektonischer<br />

Natur: Es gibt keine Kollektortechniken, die reale<br />

Zusammenkünfte von zwanzig oder fünfzig oder h<strong>und</strong>ert<br />

Millionen Menschen organisieren könnten. Moderne Menschen<br />

sind folglich Leute, die irgendwie verstanden haben, dass sie<br />

Mitglieder eines unversammelbaren Kollektivs sind.<br />

Versammlungsunfähigkeit ist das erste Merkmal moderner<br />

Gesellschaften. Dennoch versammeln sich ununterbrochen<br />

irgendwo irgendwelche Leute unter irgendwelchen Vorwänden,<br />

<strong>und</strong> tauchen momentan in die symbiotische Situation ihrer<br />

Versammlung ein – in der Gewissheit, bald wieder aufzutauchen<br />

<strong>und</strong> sich anderswohin begeben zu können. Dies geschieht naturgemäß<br />

stets in kleineren <strong>und</strong> mittleren Größenordnungen, weit<br />

unterhalb der Totale. Ich füge in Parenthese hinzu, dass man von<br />

hier aus einen präzisen Begriff des Totalitarismus gewinnen<br />

kann, denn totalitär sind genau diejenigen politischen Formen,<br />

die von dem Phantasma angetrieben werden, es könne auch in

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