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Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Jürgen Habermas hatte eben angeregt, eine Diskussion über die<br />

europäische Identität zu führen, da erwies sich Europa als nicht<br />

identisch: Der Krieg der USA gegen den Irak stiftete keine gesamteuropäische<br />

Identität. Im Gegenteil. Vor so viel Großem Bruder<br />

<strong>und</strong> „special relationship“ zerfiel der Kontinent in „altes“ <strong>und</strong><br />

„neues“ Europa, anders gesagt: Die Nationalstaaten stellten die<br />

eigenen vor die europäischen Interessen. Krisen bringen neue<br />

ideologische Klammern zustande, diese Krise bestand nicht<br />

zuletzt im Verlust einer solchen Klammer.<br />

Während frühere Kriege, gleich ob kalte oder heiße, Identität stifteten,<br />

fragt Habermas, ob nicht jetzt die Differenz gegenüber den<br />

USA als identitätsstiftendes Prinzip wirksam werden könnte. Das<br />

hieße, nicht der Krieg, sondern die gemeinschaftliche Haltung<br />

gegen einen Krieg könnte Einheit stiften. Heißt das, man überträgt<br />

das Modell Flutkatastrophe auf ganz Europa? Heißt das, Europa<br />

wird europäischer durch die Weigerung der USA, Weltgerichtshof,<br />

Völkerrecht, Emissionsbeschränkung, Klimaschutz etc. zu akzeptieren?<br />

Erweitern kann man die Europäische Union, aber kann<br />

man sie, auf dieser Basis, auch vertiefen?<br />

Sieht man es anders, nämlich psychologisch, gerät der Deutsche<br />

in ein unlösbares Dilemma: Er soll sein Nationalgefühl bewahren,<br />

seine von Polschmelze <strong>und</strong> Türken umkämpfte Scholle lieben,<br />

diese Liebe aber gleichzeitig auf eine Vielfalt von Völkergruppen<br />

ausdehnen. Einigkeit mit Herz <strong>und</strong> Hand jetzt auch für Island,<br />

Zypern, die Türkei, das ist entweder zuviel verlangt oder es geht<br />

nur mit größerem Aufwand an Liebe.<br />

Das vereinte Europa kommt somit zu der religiösen Formel: Du<br />

sollst fühlen, mehr fühlen, in größerem Maßstab fühlen, Du sollst<br />

Patriot sein <strong>und</strong> Euro-Patriot. Es hat seine Richtigkeit: Man sucht<br />

Europa <strong>und</strong> sieht Sternchen – auf blauem Gr<strong>und</strong>, dem<br />

Heiligenschein ähnlich. Das Paradoxon des Glaubens verlangt<br />

von uns, wie Wissen zu behandeln, was nicht gewusst werden<br />

kann. Glauben wir also weiter an Europa in der Hoffnung, damit<br />

Berge zu versetzen.<br />

„Europatriotismus – Zur Metamorphose eines Ideals“ Dr. Roger Willemsen<br />

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