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Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Perspektiven eines freien Weltmarktes in<br />

einer neuen Weltordnung<br />

Dr. Theo Sommer<br />

Editor-at-Large der Zeitschrift DIE ZEIT,<br />

Hamburg<br />

Ich freue mich sehr, heute wieder bei Ihnen zu sein. Das letzte<br />

Mal hatte ich das Vergnügen im Jahr 2001 bei Ihrer Tagung auf<br />

Norderney. Damals habe ich Ihnen einige Gedanken über<br />

„<strong>Architektur</strong>, Staat <strong>und</strong> Gesellschaft“ vorgetragen.<br />

Das Thema, das Sie mir für heute gestellt haben, ist weiter gefasst –<br />

<strong>und</strong> ich finde es viel schwieriger zu behandeln, obwohl es – anders<br />

als das <strong>Architektur</strong>thema – in den Kernbereich meines beruflichen<br />

Interesses fällt: „Perspektiven eines freien Weltmarktes in einer<br />

neuen Weltordnung“. Die Schwierigkeit rührt daher, dass heute<br />

nur schwer abzusehen ist, wie eigentlich diese neue Weltordnung<br />

aussehen wird <strong>und</strong> welche gestaltenden Kräfte dem Weltmarkt<br />

ihr Gepräge geben werden. Ich werde deshalb notgedrungen mit<br />

der Stange im Nebel herumstochern müssen <strong>und</strong> dabei voller<br />

Demut die Mahnung des legendären Hollywood-Moguls Goldwyn-<br />

Mayer im Hinterkopf behalten: „Mache nie Prophezeiungen, <strong>und</strong><br />

schon gar nicht über die Zukunft!“<br />

I. Einleitung<br />

Der Ausgangspunkt meiner Erwägungen ist die schlichte Feststellung,<br />

dass wir in einer Epoche des Übergangs leben. Spötter<br />

mögen dagegen halten, dass dies der Normalzustand der<br />

Menschheit sei – schon bei ihrer Vertreibung aus dem Paradies<br />

soll Adam ja Eva mit der Bemerkung getröstet haben: „Wir leben<br />

in einer Phase des Übergangs“.<br />

In der Tat ist ständiger Wandel vom Anbeginn der Geschichte das<br />

Los des Menschengeschlechts gewesen. Meist war dies jedoch<br />

gleitender, fast unmerklicher Wandel. Unsere Epoche hingegen<br />

ist wie wenige andere geschichtliche Epochen nicht bloß von der<br />

Kontinuierlichkeit solch leisen Wandels geprägt. Ihr Merkmal sind<br />

abrupte Brüche.<br />

Anfang der neunziger Jahre ist urplötzlich eine Weltordnung zerbrochen,<br />

die bipolare Ordnung des Kalten Krieges, in der wir uns<br />

im Schatten der Atombombe vierzig Jahre lang notgedrungen<br />

eingerichtet hatten. Eine neue Weltordnung jedoch hat bis heute<br />

nicht Gestalt gewonnen. George Bush, der Vater des derzeitigen<br />

amerikanischen Präsidenten, rief solch eine neue Weltordnung<br />

zwar nach dem Golfkrieg von 1991 aus, aber sie lässt bis heute<br />

auf sich warten. Noch leben wir zwischen zwei Zeiten. Und dies<br />

gilt in doppelter Hinsicht: zum einen für die machtpolitische<br />

Ordnung der Welt, zum anderen für ihre wirtschaftspolitische<br />

Verfassung.<br />

Als der Kalte Krieg endete, haben uns drei amerikanische Fachleute<br />

verschiedene Szenarien der Zukunft vor Augen gestellt. Das erste<br />

stammt von dem Philosophen Francis Fukuyama, das zweite von<br />

dem Harvard-Politologen Samuel Huntington, das dritte von dem<br />

Journalisten Robert Kaplan.<br />

Fukuyama, ein später Hegel-Epigone, rief 1989 das „Ende der<br />

Geschichte“ aus <strong>und</strong> zugleich die unumkehrbare Dauerhaftigkeit<br />

des erreichten Zielstadiums „Liberalismus“; unter Liberalismus<br />

verstand er den Sieg der Demokratie <strong>und</strong> des freien Marktes.<br />

Selten ist eine These von der Wirklichkeit so schnöde dementiert<br />

<strong>und</strong> demontiert worden. Die Geschichte ist weitergegangen, wie<br />

sie immer weiter gehen wird, solange es die Menschheit gibt.<br />

Und es lässt sich sicherlich nicht behaupten, dass sie in erfreulicher<br />

Richtung weitergegangen ist. Ob Fukuyamas Annahme<br />

sich am Ende bewahrheiten wird, dass der Kapitalismus <strong>und</strong> die<br />

Demokratie sich überall durchsetzen werden, steht noch sehr<br />

dahin. Mich würde es jedenfalls sehr w<strong>und</strong>ern, wenn beide sich<br />

je ganz obsiegen sollten.<br />

Das zweite Drehbuch der Zukunft veröffentlichte Professor<br />

Huntington im Sommer 1993 in seinem Aufsatz „The Clash of<br />

Civilizations“. Er verkündete damals kurz <strong>und</strong> bündig: „Der<br />

Zusammenprall der Kulturen wird die Weltpolitik beherrschen.<br />

Die Verwerfungslinien zwischen den Zivilisationen werden die<br />

Schlachtlinien der Zukunft sein.“ Die früheren Kriege – erst zwischen<br />

Monarchen, danach den Völkern <strong>und</strong> anschließend zwischen<br />

den Ideologien – sah er primär als Kriege innerhalb des<br />

Westens – gleichsam als westliche Bürgerkriege. Die künftigen<br />

Kriege jedoch würden sich zwischen dem Westen <strong>und</strong> den nichtwestlichen<br />

Kulturkreisen abspielen, zumal zwischen dem Westen<br />

<strong>und</strong> dem Islam. Huntingtons These ist vor zehn Jahren heftig<br />

umstritten worden. In ihrer Pauschalität ist sie wohl auch heute<br />

nicht zutreffend. Aber seit den Anschlägen des 11. September<br />

stellt sich unabweisbar die Frage, ob die Al-Qaida nicht in der Tat<br />

die Vorhut eines f<strong>und</strong>amentalistisch eingefärbten Islam in einem<br />

muslimischen Zivilisationskrieg gegen den Westen werden könnte.<br />

Das dritte Drehbuch entwarf Robert Kaplan Anfang 1994 in seinem<br />

Aufsatz „The Coming Anarchy“. Er sagte voraus, dass die Welt<br />

vor einer heillosen Periode steht, gekennzeichnet von Kämpfen<br />

um Wasser, Nahrung, saubere Luft, von innerstaatlichen

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