Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW
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Auch das deutsche Gretchen wurde in mehreren Waschgängen<br />
modisch weggemendelt <strong>und</strong> in die Trias französische Demoiselle<br />
sans merci, blondierte Kompaktrömerin oder Beatnick-Floosy<br />
nach Carneby-Art eingegliedert. Die Ergebnisse waren oft grotesk,<br />
aber europäisch, <strong>und</strong> wen früher sein b<strong>und</strong>esrepublikanischer<br />
Hüfthalter umgebracht hatte, der erhielt nun „Taillana. Die<br />
Miederlinie mit dem Streckausgleich. Fresh, smart <strong>und</strong> chic.“<br />
Man soll das nicht unterschätzen: die Mode vereinigte Europa<br />
<strong>und</strong> dieses mit der Welt. „Europäisch“ <strong>und</strong> „international“ wurden<br />
hier zuerst zu Komplimenten.<br />
Gleichzeitig waren so politisch, modisch <strong>und</strong> sprachlich die<br />
Voraussetzungen geschaffen für die Großoffensive des Tourismus,<br />
unerbittlich verschärft im Nahkampf der Gruppenreise. Man wuchs<br />
gnadenlos zusammen. Deutsche okkupierten den Gardasee, veranstalteten<br />
Clownskurse in der Toskana, tanzten in Mykonos den<br />
Zaziki, <strong>und</strong> ihre Dichter trugen die Baskenmütze wie einen Titel.<br />
Wie viel Europa darf es noch sein?<br />
Was der Massentourismus sonst von fernen Ländern sah, das<br />
waren vor allem Speisekarten <strong>und</strong> Folklore. Mit ein bisschen<br />
Unternehmergeschick könnte man die europäischen Ferienländer<br />
nebeneinander an der Ostsee rekonstruieren: erweiterte<br />
Restaurants, ausgedehnte Shopping-Malls, zwei Kilometer Cote<br />
d'Azur mit Spielcasinos <strong>und</strong> lebenden Pin Ups zum Spielen, zwei<br />
Kilometer Balkan mit Kefirbuden <strong>und</strong> unverständlichen Bauernliedern<br />
am Abend, zwei Kilometer Adria mit stinkenden Algen <strong>und</strong><br />
duftenden Taschendieben. Was wollen Sie mehr: billig bedient<br />
werden, ein bisschen Armut im Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> das Strohfeuer<br />
einer abrupten Überwindung alteingesessener Völkerfeindschaften.<br />
Denn wer, um Himmels willen, mag sich in diesem Europa, in<br />
dem nicht mal Länder mit sich selbst oder ihren Nachbarstaaten<br />
harmonieren. Keine deutsche Grenze, hinter der nicht erbitterte<br />
Feinde der Piefkes <strong>und</strong> Fatzkes <strong>und</strong> Krauts <strong>und</strong> Boches sitzen, die<br />
ihrerseits all diese Polacken, Ithaker, Käsköpp <strong>und</strong> Kümmeltürken<br />
verachten, diesen ganzen Jem’en-Foutisme, diese mediterrane<br />
Manyana-Mentalität, zu schweigen von den Ländern im<br />
Gesindetrakt, für die wir nicht mal Schimpfworte haben. Nein,<br />
wenn Europa als ein Ganzes anträte, jeder hätte den Eindruck,<br />
eine schlechte Partie gemacht zu haben.<br />
Vor allem die Deutschen lieben die Kämpfe auf jedem Gebiet:<br />
Trachtenkapellen, Opernensemble, Autohersteller, Fußballmannschaften,<br />
Schulkinder, Dürste <strong>und</strong> Würste, alles soll konkurrieren,<br />
damit sich der Wettbewerb in einen Kampf ums Recht verwandele,<br />
damit ganze Nationen im Nirwana ihrer Sinn- <strong>und</strong> Würdelosigkeit<br />
zwangsversenkt <strong>und</strong> plattgemacht werden können, für<br />
immer, d.h. bis zur nächsten Saison. An dem Tag, an dem ein<br />
ganzes Fußballstadion gegen die Länderauswahl Neuseelands<br />
„Europa! Europa!“ schreit, ist etwas faul im Kontinent.<br />
Je größer der Raum wird, für den man Partei ergreifen<br />
soll, desto unsicherer werden auch die Identifikation<br />
<strong>und</strong> desto schwächer die Leidenschaft.<br />
Je größer der Raum wird, für den man Partei ergreifen soll, desto<br />
unsicherer werden auch die Identifikation <strong>und</strong> desto schwächer<br />
die Leidenschaft. Ein redlicher Hanseate sieht schon Bayern<br />
gerne gegen Madrid verlieren. Was soll er mit Europa? Wünscht<br />
er sich etwa den Tag, an dem vor dem Fernseher der Damen-<br />
Bridge-Zirkel von Bad Breisig mit Valpolicella auf den Stabhochsprung-Triumph<br />
Portugals gegen Zimbabwe anstößt? Und man<br />
denke nur, am Ende hört das mit der Vereinigerei nicht auf, wir<br />
werden die vereinigten Staaten von Eurasien <strong>und</strong> dann von<br />
Eurastralien <strong>und</strong> so weiter, <strong>und</strong> haben zuletzt auf der ganzen<br />
weiten Welt keine Gegner mehr, niemanden, dem man durch<br />
blutige Niederlagen seine Nichtigkeit beweisen kann, nur noch<br />
Schulterreiben, Fairness-Pokale <strong>und</strong> kalten Kaffee. Vereinigtes<br />
Europa – wehe den Besiegten!<br />
Als ob die Feindbilder nicht schon gefährdet genug wären!<br />
Solange es noch gemeinsam stark sein hieß gegen den Osten,<br />
waren gewisse Konzessionen verständlich. Jetzt aber, da es<br />
offenbar keine größeren Feinde mehr gibt, muss man sich kleinere<br />
suchen. Es ist die St<strong>und</strong>e des Campanilismus, die St<strong>und</strong>e von<br />
Heimat <strong>und</strong> Heino, die St<strong>und</strong>e, da man sich mit stierem Blick in<br />
Carolin Reibers Dirndl-Dekollete die Angst vor der Überfremdung<br />
volksmusikalisch von der Seele singt. Wohin sonst mit dem ehrlichen,<br />
ausgrenzenden Gefühl für Hymne <strong>und</strong> Flagge? Wohin mit<br />
dem ausgeprägten Gefühl, etwas Besonderes zu sein, was einschließt,<br />
dass die anderen etwas weniger Besonderes sind? Oder<br />
ist alles nicht so gemeint <strong>und</strong> wir sollen doch Deutsche bleiben,<br />
nur eben im Angesicht einer radikalen Erschließung neuer Märkte?