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Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Zunächst aber wäre zu fragen, wer profitiert,<br />

wenn Europa ähnlicher wird?<br />

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten: Erstens soll nichts angetastet<br />

werden, zweitens wird trotzdem alles besser, drittens öffnen sich<br />

der Konsumwelt neue Horizonte, viertens werden wir davon absehen,<br />

dass sich die Welt nirgends so ähnlich sieht wie im Konsum:<br />

Zu belegen entlang der Ost- <strong>und</strong> Westfront vormarschierender<br />

amerikanischer Produkte, an weltweiten Fast-Fress-Ketten oder<br />

an der völlig austauschbaren Physiognomie der europäischen<br />

Großstadtzentren, alle mit demselben Geld-Appeal <strong>und</strong> schon<br />

heute so international uniformiert, dass es fast nur noch kollektive<br />

Eindrücke gibt <strong>und</strong> man in die Außenbezirke fahren muss, um<br />

von der Weltsprache auf die Stammessprache zu kommen, <strong>und</strong><br />

von diesem einzigen riesigen Foyer der Hochfinanz in die noch<br />

blockfreien, verwahrlosten <strong>und</strong> noch geschichtlichen Räume einer<br />

Randbevölkerung, die mehr oder minder zwangsweise in einem<br />

vielschichtigen, morphologisch reich differenzierten Habitat lebt.<br />

Gebt ihnen jetzt noch die europäische Telefonzelle, den Europabus<br />

<strong>und</strong> die Euro-Mülltonne, den Standard europäischer Fassadenbegleichung<br />

<strong>und</strong> das Unisono europäischer Restaurantarchitektur <strong>und</strong><br />

Europa wird sich als Aufhebung des Artenschutzes herausstellen.<br />

Nein, die Vermutung liegt nahe: Hier wächst nicht zusammen,<br />

was zusammengehört. Wäre es anders, dann würden bei allen<br />

Globalisierungsprozessen die Starken nicht immer stärker, die<br />

Schwachen nicht immer schwächer. Zunächst aber wäre zu fragen,<br />

wer profitiert, wenn Europa ähnlicher wird?<br />

Die Chancen stehen ja nicht schlecht dafür, dass nach getaner<br />

Arbeit ganz Europa wie Gelsenkirchen aussehen wird. Wer sich<br />

folglich einem noch vereinigteren Europa gegenüber skeptisch<br />

zeigt, fürchtet vielleicht vor allem den Zustand, in dem man von<br />

hier schlicht nicht mehr abhauen kann.<br />

Alles in allem bleibt Europa in der Realität wohl vereinigt unvereinigt.<br />

Unvereinigt immer dann, wenn es politisch darauf<br />

ankommt: Bei Falkland, Golf, Irak-Krieg, bei Wiedervereinigung<br />

<strong>und</strong> Gibraltar-Krise, vereinigt, wo es wirtschaftlich darauf<br />

ankommt, <strong>und</strong> allenfalls hypothetisch zu vereinigen, wo es an<br />

die Gr<strong>und</strong>sätze einer europäischen Sicherheits- <strong>und</strong> Außenpolitik<br />

ginge, wie Ralf Dahrendorf schreibt: „Wir finden uns in einem<br />

Prozess mit ungewissem Ende, der zu den Vereinigten Staaten<br />

von Europa führen kann, aber auch zur Renationalisierung, ja<br />

Fragmentierung politischer Räume.“<br />

An diesen Punkt hat uns, so Regis Debray, Mitterand-Berater <strong>und</strong><br />

Weggefährte Che Guevaras, „der Pragmatismus der kleinen<br />

Schritte“ geführt. Aber jetzt? Die federführende Generation von<br />

<strong>Politik</strong>ern, die die Vision bis hierher dachten, hatten den Krieg<br />

noch erlebt, dann den Eisernen Vorhang. Den jetzigen steht die<br />

negative Energie der Geschichte nicht mehr als Schubkraft des<br />

Visionären zu Gebote. „Gebt mir eine Grenze <strong>und</strong> eine<br />

Bedrohung“, fährt Regis Debray fort, „<strong>und</strong> ich gebe euch eine<br />

Gemeinschaft: Diese Logik der Zivilisation hat etwas<br />

Unveränderliches.“<br />

Krisen bringen neue ideologische Klammern zustande, diese Krise<br />

bestand nicht zuletzt im Verlust einer solchen Klammer.<br />

Wenn es aber so ist, dann kann man die Finalität Europas nicht<br />

von innen denken, denn – noch einmal Debray: „Das bloße Streben<br />

nach Einheit ist kein selbsttragender Mythos mit ideeller Kraft.<br />

(…) Niemand bringt Opfer, wenn ihn nicht hohe Werte leiten.<br />

(…) Der Europäismus ist eine Religion unter anderen. Und es ist<br />

kein Zufall, dass er die Untröstlichen unserer verlorenen<br />

Religionen versammelt, die Frustrierten von links wie die Waisen<br />

der Christdemokratie.“<br />

Wo also stehen wir: Wir haben den Euro, den Europäischen<br />

Gerichtshof, das Europaparlament <strong>und</strong> Erleichterungen im Verkehr<br />

von Mensch <strong>und</strong> Ware. Dennoch liegt die Wahlbeteiligung zum<br />

Europa-Parlament in einigen Ländern gerade einmal bei 30<br />

Prozent. In dieser Situation einer frustrierten Sentimentalität ruft<br />

Europa wieder nach einer Idee, Jürgen Habermas tut es, Ralf<br />

Dahrendorf tut es. Aber wie träumt man am Ende aller Träume?<br />

Die Idee der Europäer von Europa hieß Europa. Das reicht nicht<br />

mehr, wenn die wahre Antwort auf die Frage: Was eint die<br />

Europäer, lautet: Die Égalité. Das meiste von dem, was Europa<br />

heißt, ist ihnen inzwischen egal.

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