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Architektur und Politik - Landesinitiative StadtBauKultur NRW

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Ich ziehe aus diesen schnellen Andeutungen eine eben so<br />

schnelle Konsequenz. Um Europäer zu sein, muss man zu den<br />

genannten drei Urszenen ein Verhältnis haben – zum Motiv des<br />

Asyls, zur Prophezeiung der Macht <strong>und</strong> zu den Siegerermittlungen<br />

in der Arena. Und doch reicht keine dieser Szenen als<br />

solche aus, das europäische Bewusstsein zu befriedigen. Es<br />

genügt nicht, an einem Asyl-Ort zu leben, wie es das alte Italien<br />

war, das Verlierer aus Troja großzügig beherbergte <strong>und</strong> Verlierern<br />

eine zweite Chance gewährte. Es genügt auch nicht, an der<br />

Hades-Weissagung künftiger Weltherrschaft teilzunehmen. Und<br />

schließlich genügt es nicht, sich für die Arenareligion der Sieger<br />

zu begeistern. Nicht umsonst haben die Europäer zu jedem diesem<br />

Kulte, wenn ich so sagen darf, auch die Antithese entwickelt,<br />

sie haben zu jedem Siegesrausch die komplementäre Ernüchterung<br />

entworfen. Ich darf bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass<br />

die Römer schon im ersten Jahrh<strong>und</strong>ert vor Christus im Senatsgebäude<br />

einen Altar der Victoria aufgestellt hatten, wir würden<br />

heute übersetzen: einen Altar des Erfolges, militärisch gesprochen<br />

des Kriegsglücks, vor dem die Senatoren vor Beginn jeder<br />

Senatsversammlung eine Kulthandlung zu verüben hatten. Man<br />

wusste damals: Das Reich ist nichts anderes als ein Glückszusammenhang,<br />

der durch Siege konstituiert <strong>und</strong> durch kultische<br />

Erinnerungen an ihre Akteure konsolidiert wird. Nun sind die<br />

Europäer aber auch Menschen, die gegen den latenten Totalitarismus<br />

ihrer Erfolgsgeschichten eine Differenz einzuführen<br />

imstande sind – <strong>und</strong> diese macht, wie ich kurz zeigen möchte,<br />

das starke Spezifikum Europas aus.<br />

Wie das gemeint ist, lässt sich am besten durch den Hinweis auf<br />

das Hauptwerk des Kirchenvaters Augustinus erläutern. Neben<br />

Vergil ist Augustinus als zweiter Vater des Abendlands bzw. Europas<br />

anzusehen, <strong>und</strong> zwar indem er den Basismythos der römischen<br />

Geschichte, die große Erzählung vom Glück des Imperiums,<br />

auflöste <strong>und</strong> durch einen alternativen Glückszusammenhang<br />

ersetzte. Man versteht die Rolle Augustinus, wenn man in ihm<br />

einen Kontrastmythologen erkennt, der eine Erfolgsgeschichte<br />

beendet <strong>und</strong> eine andere an ihre Stelle rückt. Bekanntlich wurde<br />

gegen die Christen schon relativ früh der Vorwurf erhoben, sie<br />

beteiligten sich nicht am Caesarenkult – das heißt sie beteten<br />

nicht so zum Reichserfolg, wie die übrigen Römer in allen<br />

Weltgegenden es zu tun gezwungen <strong>und</strong> gewohnt waren. Kein<br />

W<strong>und</strong>er also, dass man ihnen in Zeiten des daniederliegenden<br />

römischen Kriegsglücks den Vorwurf machte, sie seien am Verfall<br />

der römischen Tugenden schuld. Für die Bürger des späten<br />

4. Jahrh<strong>und</strong>erts lag diese Frage in der Luft: Wenn Rom <strong>und</strong> sein<br />

Reich einen großen Siegeszusammenhang bildeten, warum kann<br />

Nun sind die Europäer aber auch Menschen, die<br />

gegen den latenten Totalitarismus ihrer Erfolgsgeschichten<br />

eine Differenz einzuführen imstande<br />

sind – <strong>und</strong> diese macht, wie ich kurz zeigen möchte,<br />

das starke Spezifikum Europas aus.<br />

Rom dann so offensichtlich dem Verfall entgegentreiben, während<br />

die Christen sich immer mehr in der Gesellschaft etablieren?<br />

Bekanntlich war das Christentum nach Constantins Tod zur<br />

Staatsreligion geworden, aber das Kriegsglück wollte – trotz der<br />

Episode an der Milvischen Brücke – in dieses politische Gebilde<br />

nicht mehr zurückkehren. Manche Römer waren in dieser<br />

Situation geneigt, auf Suggestionen zu hören wie diese: „Die<br />

Christen bringen Unglück über uns, was aber Unglück bringt,<br />

muss eine falsche Religion sein.“. In ausgeführter Form können<br />

Sie das bei Edward Gibbon nachlesen, dem großen britischen<br />

Historiker des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts, der im übrigen tatsächlich die<br />

Meinung vertrat, die Christen seien ursächlich mitschuld gewesen<br />

am Abreißen der altrömischen Erfolgssträhne. Was nun<br />

Augustinus angeht, so bot er sich dazu an, den Gegenbeweis<br />

gegen diese Anschuldigungen zu führen. Es war sein Ziel, die<br />

Christen vom Vorwurf der Verantwortung fürs römische<br />

Staatspech – besonders nach der Gotenplünderung von 410 –<br />

freizusprechen. Seine Schrift vom Gottesstaat ist nichts anderes<br />

als eine große Rechtfertigungsschrift, in der ein alternativer, ein<br />

nicht-staatlicher, ein moralisch-spiritueller Glückszusammenhang<br />

aufgerichtet wird. Augustinus will beweisen, dass alle Menschen<br />

Bürger zweier Welten sind, dass sie mithin an zwei Reichen<br />

gleichzeitig teilhaben. Tatsächlich sind sie zunächst Bürger der<br />

Civitas terrena – so heißt die bisherige Totale, der Lebenszusammenhang<br />

der irdischen Glücksgeschichten –, gleichzeitig<br />

jedoch gehören sie einem zweiten Glückszusammenhang an,<br />

nämlich der Civitas Dei, ein Ausdruck, den man des öfteren mit<br />

Gottesstaat übersetzt hat, den man aber besser als Gottesasyl<br />

oder als Gottesclub bzw. Verein der Fre<strong>und</strong>e Gottes wiedergeben<br />

sollte. Asyl, Club, Verein – von alledem steckt etwas in dem überlieferten<br />

Ausdruck ecclesia oder Kirche, den man bis heute landläufig<br />

für diesen zweiten Zusammenhang verwendet. Die These

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