SPORTaktiv Februar 2018
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Gruppe spiegelt unseren Selbstwert zum<br />
Teil wieder. Wir wollen uns mit anderen<br />
vergleichen. Das tun wir dauernd. Das<br />
fängt beim Kleinkind an. „Mei, das<br />
Baby, ganz der Papa.“ Der persönliche<br />
Vergleich gehört zum menschlichen<br />
Leben und auch zum Selbstwert. Zugehörigkeit<br />
zur Gruppe, Vergleich mit anderen.<br />
Wer ist größer, wer ist schneller?<br />
Und wir wollen unsere eigene Leistung<br />
steigern, wollen uns immer messen.<br />
Hat das nicht auch mit dem Ausbrechen<br />
aus dem Alltagstrott zu tun?<br />
Natürlich ist das ein Phänomen einer<br />
gesättigten Gesellschaft. Wir haben so<br />
viele Dinge, die wir tun und tun müssen.<br />
Wir sind extrem getaktet. All die<br />
Leute, die da teilnehmen, die haben<br />
ihren Alltagsrhythmus beinhart in ein<br />
Zeitkorsett gezwängt. Und da können<br />
wir diesem Korsett einmal entfliehen.<br />
Ich sage in der Therapie immer: Macht’s<br />
aus dem Tag nicht eine lange Wurst, wo<br />
überall das Gleiche drinnen ist, sondern<br />
macht kleine Kuchenstücke daraus, das<br />
ist gut für euer Leben. Und so ein Bewerb<br />
ist ein Kuchenstück für den Alltag.<br />
,,GATSCHLÄUFE SIND<br />
SCHON EIN PHÄNOMEN<br />
EINER GESÄTTIGTEN<br />
GESELLSCHAFT“<br />
Wie entwickelt sich aber aus so einem<br />
speziellen Event ein Massenphänomen?<br />
Erst sind es drei, dann fünf, dann zehn<br />
Leute, die das machen. Ab irgendeinem<br />
Zeitpunkt wird eine kritische Masse<br />
übersprungen, dann bekommt das eine<br />
eigene Dynamik. He, der lauft, das<br />
muss ich auch machen. Und dann, ganz<br />
wichtig, entwickelt sich eine Industrie<br />
dazu, ein oder mehrere Geschäftszweige.<br />
Schuhe, Shirts, Hosen speziell für das<br />
Laufen.<br />
Die Leistungsgesellschaft zwingt uns<br />
ins Regelkorsett, beim Gatschlauf<br />
kann ich mich dreckig machen, ohne<br />
schief angeschaut zu werden.<br />
Ja, da kann ich wieder Kind sein. Ganz<br />
ein wichtiger Punkt. Wir unterscheiden<br />
ja mehrere Ichs. Das ganz kleine Baby-Ich,<br />
das Kindheits- und pubertäre<br />
Ich. Und im Gatschlauf kommt das pubertäre<br />
Ich zum Zug. Da kann ich mich<br />
austoben. Gatsch ist ja wirklich was<br />
Besonderes. Kinder spielen mit Vorliebe<br />
darin und wenn wir Eltern das verhindern,<br />
ist das eigentlich schlecht. Wir<br />
sollen die Kinder in den Gatsch lassen.<br />
Da kommt dieses Ich durch. Da brauch<br />
ich mich für meine kindlichen Dummheiten<br />
nicht schämen.<br />
Wird das stärker, je höher der Leistungsdruck<br />
einer Gesellschaft ist und<br />
je getakteter der Alltag ist?<br />
Ja, das sind ja auch widersprüchliche<br />
Prozesse. Wir haben eine enorme<br />
Selbstdisziplinierung. Das ist wirklich<br />
ein Psychotrend. Selbstdisziplin durch<br />
Ernährung zum Beispiel. Wir sprechen<br />
von der Orthorexie, also von der richtigen<br />
Ernährung. Wir haben Berater,<br />
Diäten, wir feilen immer, wir zeichnen<br />
jeden Schritt am Handy auf. Das ist eine<br />
uralte Geschichte. Ich muss mich immer<br />
verändern, immer disziplinieren. Beim<br />
Training disziplinier ich mich aber freiwillig<br />
– bis über die eigene Grenze. Das<br />
funktioniert besonders gut, wenn es aus<br />
mir selber kommt. Wir disziplinieren uns<br />
andauernd. Und bei den Fun-Runs kann<br />
ich dann das Kindheits-Ich rauslassen.<br />
Die Gesellschaft gibt uns den Rahmen,<br />
einmal richtig die Sau rauszulassen.<br />
Aber belügen wir uns da nicht selbst,<br />
wenn auch der Ausbruch aus dem Alltagstrott<br />
erst wieder einen Superlativ<br />
braucht?<br />
Der größte Manipulator seiner selbst ist<br />
der Mensch. Wir tun das ständig selbst.<br />
Fotos: Grazathlon/GEPA Pictures, Alois Kogler<br />
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