Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie
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ingen? War nicht er es, der die Länder des Kaukasus nach jahrhundertelanger<br />
Knechtschaft in die Freiheit, Unabhängigkeit führen wollte?<br />
Doch die Menschen werden nicht klüger, machen immer wieder<br />
die gleichen Fehler. Kaum der Knechtschaft entronnen, liefern sie sich<br />
schon neuen Göttern aus, lassen sich von Macht und Wohlstand korrumpieren,<br />
sich von der Politik andrer Olympier zuerst bestrafen,<br />
dann subventionieren. Da sind schon die Geier und beginnen seinen<br />
Leib aufzureißen, die warme Leber zu fressen. Er windet sich, doch<br />
mehr noch schmerzt ihn das Gefühl des Versagens. Morgen schon<br />
werden seine Gedärme wieder heil sein, werden die Götter ihr Spiel<br />
mit ihm, dem Abhängigen, aufs Neue beginnen. Eine Stimme ertönt<br />
von dort unten, zwischen den Felsen: Cheiron ist es, der Kentaur. Wie<br />
schon so oft bietet er dem Leidenden an, sich für ihn zu opfern, doch<br />
Prometheus lehnt ab und schreit: ›Es hat keinen Sinn!‹<br />
September <strong>Die</strong> Hilflosigkeit<br />
Eben noch telefonierte Hiob mit seiner Familie, seinen Kindern, die<br />
dort oben in einem der Zwillingstürme die Aussicht genießen wollten.<br />
Da plötzlich aber ein Blitz aus heiterem Himmel und ein stürzen die<br />
Monolithen, zuerst der eine, dann der andere. <strong>Die</strong> riesige, glänzende<br />
Stadt New York ist eingehüllt von Asche, Menschen rennen, schreien,<br />
flüchten. Und zwischen ihnen Hiob, der vom Schicksal Geprüfte, welcher<br />
schreit: ›Habt ihr meine Kinder gesehen?‹ <strong>Die</strong> Antwort ist stummes<br />
Entsetzen, unter all den Trümmern mögen sie bestattet liegen, er<br />
wird sie nie wieder sehen. Vom Donner der Erkenntnis gerührt sinkt<br />
er nieder, fleht kniend den Herrn an: ›Was habe ich getan, dass du<br />
mich so bestrafst.‹ Und Gott antwortet, spricht zu ihm aus den Gesichtern<br />
der Opfer, aus den spiegelnden Scherben, den brennenden<br />
Wägen: ›Wer bist du, Hiob, dass du mich das fragst?‹ Nicht mehr, nicht<br />
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