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Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

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III.<br />

Da war er dann, Rodins Denker, saß und dachte. Ich stand, sah und<br />

dachte auch: Was denkt er? Und ich dachte: Endlich Paris vergessen.<br />

Das könnte hier überall sein. Auch so ein Ding, das mit Paris. Warum<br />

verbinden wir Paris, das Wort, die Stadt, mit – Liebe, Zweisamkeit,<br />

Romantik. Kopfleistung. Neben der Stadt aus Stein, gibt es die Stadt<br />

aus Phantasie. Ein Wort, ein Bild, eine Vorstellung, ein Gefühl. So<br />

einfach. So schön. Aber es funktioniert auch umgekehrt: Worte und<br />

Bilder, Vorstellungen und Gefühle, die Schmerzen machen. Im Kopf,<br />

im Herz, irgendwo und überall innen. Ich sehe dem Denker ins<br />

Gesicht. Er grübelt mit seinem ganzen Körper. Und sein Gesicht: Fröhlich<br />

nicht, gelassen nein, angestrengt eher, bedrückt doch, traurig:<br />

möglich, schmerzvoll: vielleicht. Worüber denkt er? Was Wichtiges<br />

verloren – Er denkt verzweifelt WO? Was Bedeutendes entscheiden –<br />

Er denkt verzweifelt WIE? Was Schlimmes passiert – Er denkt verzweifelt<br />

WARUM? <strong>Die</strong> Figur scheint vor Denken zu vibrieren. Fragen,<br />

Fragen. Tiere leiden ja auch, keine Frage. Aber sie können sich eben<br />

keine Fragen stellen. Sie leiden, aber wissen’s wenigstens nicht. Seltsam:<br />

Ein komischer Mann hat mich beim Betrachten des Denkers<br />

betrachtet und mir ein paar knittrige Papiere in die Hand gedrückt.<br />

Schweigend, mit tosendem Blick…<br />

3. Aus einem angeblichen Brief Camus’ an Maria Casarés<br />

(Übersetzung)<br />

... denn Prometheus war der erste Revolutionär und gab dem Menschen<br />

sein Schicksal vor: In der Revolte leben zu müssen, gleich ob er<br />

sie lebt oder sie verdrängt. Das spielt keine Rolle, es ändert nichts. Und<br />

es ist das Schicksal des Sisyphos, die Ungewissheit auszuhalten, ob<br />

seine Existenz einen Sinn hat. Das Schicksal entscheidet sich nicht mit<br />

der Antwort auf die Frage, denn auch die Antwort ist gleichgültig. Das<br />

Schicksal ist entschieden mit der Tatsache, dass der Mensch nach dem<br />

Sinn fragen muss. Es kommt nur darauf an, im Angesicht der Frage zu<br />

leben und sich einzugestehen, dass es keine Antwort auf sie gibt, die<br />

mehr wäre als Illusion. <strong>Die</strong> einzige Wahrheit ist die Ungewissheit allen<br />

Sinns. Das ist der Stein, den Sisyphos wälzt, solange er bewusst existiert.<br />

Und seine bewusste Freiheit liegt im Paradox der revoltierenden<br />

Annahme seines sinnlosen Schicksals. <strong>Die</strong> menschliche Freiheit ist in<br />

dem Sinn absurd wie es die menschliche Existenz selber ist, deshalb<br />

muss existenzielle Freiheit notwendig absurden Charakter haben.<br />

Existenzielle Freiheit kann sich nicht auf Täuschungen gründen, sie<br />

entspringt dem klaren Angesicht der Abgründigkeit des menschlichen<br />

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