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Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

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alle nacheinander auf brutale Weise ein Mädchen vergewaltigten . . . ich<br />

sah viele davon . . . Ich versuchte mein Kind, das an meinen Körper<br />

gebunden war, so gut es ging zu beschützen. Es war doch noch so klein.<br />

Ich gab ihm noch die Brust.<br />

Tränen fließen jetzt über Agnes’ Gesicht. <strong>Die</strong> Angst hat ihren Würgegriff<br />

gelockert. Bisher war der psychische Schmerz in Agnes’ Leben<br />

immer gegenwärtig. Das brutale Los der Traumatisierten, zurückgeschleudert<br />

zu werden, so als ob es hier und jetzt immer wieder passieren<br />

würde. Trauer schließlich zeigt an, dass die Seele verstanden<br />

hat, zeigt an, dass Vergangenes beweint und nicht mehr Gegenwärtiges<br />

gefürchtet wird.<br />

›Wir werden verhungern hier im Flüchtlingslager!‹ fügt Agnes<br />

plötzlich hinzu und streichelt den ausgezehrten Leib des Kindes auf<br />

ihrem Schoß, den von Würmern aufgetriebenen Bauch. Das Kind<br />

streckt das Ärmchen nach dem Tee aus. Als Agnes meine Hand nimmt<br />

und sie wie zum Segen auf den von Aussatz befallenen Kopf ihres<br />

Sohnes legt, schäme ich mich meines Zögerns. Ein unmerklicher<br />

Widerstand nur, ein kleines Zurückschrecken, hätte alles zerstört<br />

zwischen uns.<br />

(Ein Jahr später) Der Wagen schlägt wieder auf. Unser Team ist müde<br />

und angespannt. Staub im Mund, in den Augen. K. lenkt schwitzend in<br />

weiten, kreisförmigen Bewegungen das schaukelnde Gefährt über die<br />

jahrzehntelang nicht mehr befahrene Sandpiste. Der Korridor nach<br />

Gulu. Man hatte uns gewarnt am Schlagbaum. Es sei zu spät heute<br />

noch durchzukommen, der bewachte Konvoi sei längst abgefahren.<br />

Rebellenbewegungen im Busch. Wir sind auf dem Weg zu unseren<br />

ehemaligen Patienten. <strong>Die</strong> Nachfolgeuntersuchung.<br />

J. hat keine Angst beim Fahren. Der Schmerz hat diese vor langer<br />

Zeit gelöscht. Er ist selbst ein Geflohener, lebt schon lange hier. Er<br />

kennt die Wildnis, kennt die Täter. Als Kind vom Vater misshandelt,<br />

von der betäubten Mutter ignoriert, fand er erst in Afrika Vergessen<br />

und Leben. Das weite, einsame Land, das niemanden fragt, hatte den<br />

Hass zu lindern vermocht. In warmen schwarzen Augen hat K. Heimat<br />

gefunden. Als er von Zuhause fort ging, war es für immer. Jetzt<br />

begrüßte er mit offenem Herzen die Gefahren. Er wusste noch nicht,<br />

ob er lebte – aber sterben sollte er nicht von der Hand des Vaters.<br />

Unsere Blicke wandern in die unberührte Landschaft. Unsere<br />

Rücken sind versteift – überwachsam. Jeder sucht seine Erregung den<br />

Anderen zuliebe zu verbergen.<br />

L. betet auf der Rückback, sie will ›good spirits‹ auf die blutgetränkte<br />

Erde ringsumher rufen. Zu lange hat sie in Kampala im<br />

Hauptstadt-Büro Berichte gelesen über das Grauen. Gesichtslose<br />

Akten hatten die Angst in sie kriechen lassen. Nie hatte sie einen<br />

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