Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie
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Lebens – DNS erzeugt RNS erzeugt Protein – unter Einsparung des<br />
ersten Gliedes modellieren. <strong>Die</strong> entsprechende ›Ewig‹-Stoff-Chemie ist<br />
das eigentliche Kunstwerk im Kunstwerk – jedenfalls im Blickwinkel<br />
naturwissenschaftlicher Ästhetik.<br />
›Dem Denker fehlt nur noch der »Lebenshauch«. Alles ist doch<br />
bereit!‹ Sie hat recht, es fehlt nur noch ein letzter, kleiner Schritt. Er<br />
nimmt den elektronischen Meißel und wagt den finalen Schlag, einen<br />
gefühlvollen Tupfer in die Herzgegend – und siehe, das Denkmal<br />
zittert, beginnt sichtbar zu atmen.<br />
Lebt der Denker von Rodin tatsächlich, zum ersten Mal? In diesem<br />
Jahrhundert?<br />
Rodins Euphorie endet schnell. So schnell, wie er erkennt, dass der<br />
Denker leer ist.<br />
Vielleicht fehlt seinem Geist die ›Nahrung‹, die einem Menschengeist<br />
im Lauf seiner Entwicklung zugeführt wird. Wie auch immer –<br />
er sieht, hört, schmeckt, riecht, spürt, empfindet Änderungen seiner<br />
Gleichgewichtslage, aber erkennend wahrzunehmen vermag er offenbar<br />
nicht. Gibt Geräusche von sich, aber kann nicht sprechen.<br />
Und ist gänzlich ohne Gefühl. Mimik, Gestik, Haltung zeigen<br />
weder Freude noch Schmerz, weder Angst noch Scham, weder Zorn<br />
noch Trauer noch Abscheu. Selbst Hunger und Durst, Hitze und Kälte<br />
lassen ihn unberührt. Nichts geschieht, er sitzt da, in seiner bekannten<br />
Haltung, und rührt sich nicht, ausgenommen autonome Bewegungen<br />
wie Atmen, Lidschlag, Kauen, Schlucken, Ausscheiden usw.<br />
›Wo sind die Gefühle?‹ fragt Rodin. ›Was habe ich falsch gemacht?<br />
<strong>Die</strong> Amygdala verhunzt? War doch was dran am alten Aberglauben<br />
vom limbischen System?‹<br />
<strong>Die</strong> schlimmste Folge der fehlenden Gefühle: Der Denker denkt<br />
nicht. – Seit Rodin sich dessen sicher ist, kann er ihn nicht mehr so<br />
anschauen, als ob er einen Denker vor sich hätte. ›Der Ausdruck ist<br />
total weg, eine Katastrophe!‹<br />
Rodin lässt sich von einem Klon aus der Neurosoziologenklasse beraten:<br />
Tony Damasio III. Der meint, als Körperwesen habe der Denker<br />
emotionale Zustände, nur bewusst seien sie ihm nicht. Ihm fehle generell<br />
höheres Bewusstsein. <strong>Die</strong>s lasse sich sehr einfach am Schmerz<br />
demonstrieren: ›<strong>Die</strong> Transmitter aus den Schmerzbahnen können in<br />
seinem Thalamus ganz wunderbar andocken, der Denker hat Schmerzen<br />
als Körperzustände. Aber sie jucken ihn nicht.‹<br />
›Aha‹, sagt Rodin.<br />
›Well, let’s do the flinch and jump test!‹ sagt Damasio und haut<br />
dem Denker mit einem Hammer auf den Fingernagel, eine ganze Serie<br />
von Schlägen in wachsender Intensität.<br />
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