Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

Kindergeschichten
Susanne Gölitzer
Das, was in uns schmerzt, beginnt mit dem ersten Tag.
I. Kind, beruhige dich
Auf dem Nachhauseweg ist es passiert. Sie spürt die Ellenbogen noch
im Rücken. Später die Stelle am Rücken. Die Straße weiterzulaufen
konzentrierte sie sich. Die Jungen mäanderten in ihrem Lauf um den
des Mädchens. Bis einer auf die Idee kam. Die tolle Idee eines Zehnjährigen,
der hinter einem Mauervorsprung darauf gewartet hatte,
eine Siebenjährige zu überfallen und ihre Lippen zu öffnen.
Ist nicht so schlimm, mein Kind. Beruhige dich.
Das Mädchen ging schneller, als es die Jungen bemerkte, drei mit
schwarzem Haar. Sie riefen ihr hinterher und dann näher, noch näher,
am nächsten. Hoppe, hoppe Reiter, wenn sie fällt, dann schreit sie. Nur
nicht fallen, einfach weitergehen, die bleiben schon weg – wie vernünftig
ein Kind denkt.
Einer hing an ihrer Schulter, es tat weh, ein anderer rannte nach,
schaute sich um, hatte wohl Angst, war ihm peinlich, die Leute dachten:
Ach, Kinder.
Das Mädchen schrie – nicht. Es hoffte, sie mögen einfach gehen,
weggehen, sie alleine lassen, sie verstand nicht. Sie weinte schon. Erst
lächelte sie noch schamhaft, dann drückte ihr der Älteste die Lippen
auf die ihren, die Zunge an den Gaumen, den weichen, rosa Kindergaumen.
Es schmeckt nach Brause. Sie hatte gerne Brause gemocht.
Heute erbricht sie darauf.
Ach, Kind. Beruhige dich. Ist nichts passiert. Wird wieder gut.
Weiter geht die Horde mit ihr, nachdem sie zum ersten Mal an einer
Hauptstraße in dieser Kleinstadt den Speichel eines anderen, eines
Fremden, wenn auch jungen Kerls, gerade zehn Jahre jung,
geschmeckt hat. Sie dreht sich, aber der Kleinere hält sie fest, hält
ihr die Schultern, hält sie fest. Das ist nicht schwer, sie ist schmal,
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