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Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

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ebenfalls Handlungskompetenz beeinträchtigt, das wahrnehmende<br />

Erkennen seinen Ansprüchen nach einrichtet und als unmittelbare Erfahrung<br />

nicht problemlos zur Sprache gebracht werden kann: Handlungs-<br />

, Erkenntnis- und Sprachkompetenzen – drei grundlegende Vermögen<br />

des sich symbolisierenden Menschen – werden in der Schmerzerfahrung<br />

beeinträchtigt, ohne dass eine pathologische Störung vorliegen<br />

muss, die in den Krankheitsbildern von Aphasie und Agnosie<br />

gefasst wird. Doch was Cassirer für die Pathologie der Sprache und des<br />

Handelns sagt, kann in gleicher Weise auch für die Pathologie der<br />

Schmerzerfahrung angenommen werden: ›Das pathologische Verhalten<br />

hat gewissermaßen die Kraft des geistigen Impulses eingebüßt, der<br />

den Geist immer wieder über den Kreis des unmittelbar Wahrgenommenen<br />

und des unmittelbar Begehrten hinaus drängt. Aber eben in<br />

dem Rückschritt, den es vollzieht, macht dieses Verhalten die Gesamtbewegung<br />

des Geistes und das innere Gesetz seines Aufbaus von einer<br />

neuen Seite her verständlich. Der Prozess der Vergeistigung, der Prozess<br />

der ›Symbolisierung‹ der Welt wird seinem Wert und seiner<br />

Bedeutung nach gerade dort für uns fassbar, wo er nicht mehr frei und<br />

ungehindert sich vollzieht, sondern wo er gegen Hemmungen anzukämpfen<br />

und gegen diese sich durchzusetzen hat. In diesem Sinne<br />

geben uns die Sprachpathologie und die Pathologie des Handelns einen<br />

Maßstab an die Hand, mit dem wir die Breite des Abstands messen<br />

können, der zwischen der organischen Welt und der Welt der menschlichen<br />

Kultur, zwischen dem Gebiet des Lebens und der des ›objektiven<br />

Geistes‹ besteht.‹ 13 Gerade die Schmerzerfahrung trägt dazu bei, die<br />

Grenzen der Intelligibilität des Menschen zu bestimmen. In den<br />

Formen ihrer Bearbeitung kann der Abstand vermessen werden der<br />

zwischen der stets prekären kulturellen und der von zweifelhafter<br />

Gewissheit bestimmten organischen Welt besteht. Doch ist das, was es<br />

sei, das im Menschen schmerzt, in dieser Abgrenzung von der Geltung<br />

symbolischer Formen hinreichend bestimmt? Anders als sein sprachlicher<br />

Ausdruck kann der solipsistisch erfahrene Schmerz selbst in<br />

seiner pathologischen Konzeption nicht als eine der symbolischen<br />

Formen genommen werden, in denen der handelnde Mensch den<br />

Übergang von Natur zu Kultur vorantreibt. – Ist er doch gerade eine<br />

Sinnesempfindung, in der dieser Mensch auf eine natürliche Existenz<br />

zurückverwiesen wird aus der ihn die symbolischen Formen herausheben<br />

sollen. Doch die Schmerzerfahrung verschlägt die Sprache und<br />

verlangt zugleich nach ihr, die Schmerzerfahrung beherrscht den<br />

Körper und fordert seine Gebärden zu ihrem Ausdruck. <strong>Die</strong> Benennung<br />

und sprachliche Konzeptionierung des an den Körper gehefteten<br />

Schmerzes ist der erste Schritt zu einer, wenn auch stets prekären<br />

Überwindung. <strong>Die</strong>se besteht darauf, dass dem Schmerz ein Platz im<br />

Bewusstsein und unter den symbolischen Ausdrucksformen des Men-<br />

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