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Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

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Überlebenden getroffen. <strong>Die</strong> Augen, die sie nachts mit entsetzlichen<br />

Schmerzen ansahen, waren nicht menschlich. ›Das Problem ist nicht,<br />

dass sie auch uns töten könnten‹, hatte sie gewarnt, ›das Problem ist,<br />

auf welch langsame Art sie es tun.‹ Jetzt will L. die Akten zum Leben<br />

erwecken. Mit uns feststellen, ob man die Krankheiten des Geistes,<br />

welche der Terror anrichtet, heilen kann. Sie hatte immer gewusst,<br />

einmal würde sie sich den Menschen stellen müssen, in ihre Gesichter<br />

sehen. L. hat ein weiches Herz, das sie besorgt beobachtet: ob der<br />

Grausamkeiten dieser Welt könnte es zerspringen. Sie ist bereit zu<br />

lieben, auch wenn es Schmerz bedeutet.<br />

Noch immer spricht keiner ein Wort im Wagen. O. hat sich<br />

lärmende Kopfhörer aufgesetzt. <strong>Die</strong> Kugeln würden von vorne durch<br />

die Windschutzscheibe eindringen, splitterndes Glas würde ihre Haut<br />

aufreißen. <strong>Die</strong> Rebellen schießen erst, fragen nicht auf wen.<br />

Zu laut röhrt der Motor in der Abendsonne. Meine Gedanken eilen<br />

zum Lager voraus. In welchem Zustand werden wir die Patienten<br />

vorfinden? Lebten sie noch? Alle haben wir die Sorge, was wäre, . . .<br />

Agnes hatte niemanden mehr damals, der sich um sie und ihre<br />

Kinder kümmerte.<br />

(das Sterben) Ich war gerade dabei mich mit meinem Bruder ein<br />

wenig auszuruhen im hohen Gras. Wir saßen ruhig nebeneinander. Wir<br />

sprachen nicht. Wir versuchten uns auszuruhen, Luft zu bekommen,<br />

endlich Luft. Dann plötzlich Maschinengewehrfeuer. Ein Schuss traf<br />

meinen Bruder . . . <strong>Die</strong> Kugel ging von links nach rechts durch seinen<br />

Kopf . . . Er zuckte. Sein Körper fiel rückwärts. Ich sah ihn an und rannte<br />

in Panik . . . ich konnte ihn ja nicht beerdigen, niemand konnte beerdigt<br />

werden . . .<br />

Da waren überall tote Körper am Boden und auch viele Verletzte, die<br />

noch lebten. Sie schrieen wie wahnsinnig vor Schmerz . . . sie schrieen<br />

um Hilfe! Niemand hielt an. Wir rannten um unser Leben. Wir konnten<br />

nicht helfen . . . Schreie, die heute noch zu meinen Ohren finden.<br />

Wir wussten nicht wo wir hintreten sollten. Wir mussten auf Zehenspitzen<br />

gehen um unseren Weg zwischen den Körpern hindurch zu<br />

finden . . .<br />

<strong>Die</strong> Hilfeschreie hallten nach, jeden Tag, jede Nacht – quälten die<br />

Überlebenden mit Schuld.<br />

›Überlebensschuld‹ – die Schuld lebendig geblieben zu sein, als die<br />

Bevölkerung ganzer Landstriche dem Genozid zum Opfer fiel. Schuld<br />

und Schmerz empfinden nur die Opfer, die vor Ort waren, als es<br />

geschah, die neben dem Menschen standen, den das Schicksal statt<br />

ihrer auswählte, die im Massaker die nächsten in der Reihe gewesen<br />

wären. Überlebensschuld fühlen nicht diejenigen, die verschulden.<br />

Das plötzliche Bremsen des Wagens schreckt uns auf. Ein bewaffneter<br />

Mann vor uns auf dem Weg. Ein Militärlager am Straßenrand,<br />

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