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Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

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Situationen, etwa wenn wir uns in den Finger geschnitten haben oder<br />

unter Liebeskummer leiden, ist der Ursprung dieser Schmerzen offensichtlich<br />

und es ist nicht nötig, nach ihm zu suchen. Wenn wir Kopfschmerzen<br />

haben oder auf einer Familienfeier plötzlich furchtbar<br />

melancholisch werden, ist der Ursprung unserer Schmerzen jedoch<br />

schon wesentlich unklarer. In solchen Situationen stellt die Frage nach<br />

dem, was in uns schmerzt, ein lebenspraktisches Problem dar. <strong>Die</strong>ses<br />

besteht nicht nur darin, den Ursprung der Schmerzen herauszufinden,<br />

sondern auch und zuerst darin, sich darüber klar zu werden, ob man<br />

sich überhaupt mit den Schmerzen beschäftigen möchte. Schließlich<br />

kommt es oft genug vor, dass Schmerzen – ein Stechen in einem Zahn,<br />

ein kurzer Moment der Traurigkeit – von selbst wieder verschwinden<br />

und anscheinend keine wichtige Signalfunktion erfüllen. In solche<br />

Schmerzen will man sich nicht hineinsteigern und ihre Wichtigkeit<br />

vergrößern, indem man ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Andererseits<br />

können die andauernde Ignorierung körperlicher und seelischer<br />

Schmerzen und das damit verbundene Verbleiben in einer schädigenden<br />

Situation viel Kraft kosten, zur Chronifizierung oder Verschlimmerung<br />

von Schäden führen. Menschen, die trotz ständiger und stärker<br />

werdender Rückenschmerzen ihren Lebensstil nicht ändern, und Menschen,<br />

die langsam aber stetig in eine Depression abgleiten ohne sich<br />

Hilfe zu suchen, sind nur zwei von vielen Beispielen.<br />

Das lebenspraktische Problem, auf das uns die Frage ›Was ist es,<br />

das in uns schmerzt?‹ hinweist, besteht also darin, dass wir unsere<br />

Schmerzen differenziert wahrnehmen und interpretieren sollten.<br />

Dabei gilt es, die eigenen Schmerzen ernst zu nehmen, ohne sich<br />

jedoch in sie hineinzusteigern. <strong>Die</strong>s sind Fähigkeiten, und das macht<br />

deutlich, warum eine wissenschaftliche Behandlung der lebenspraktischen<br />

Frage zu keiner vollständig befriedigenden Antwort führen<br />

kann. <strong>Die</strong> Fähigkeiten von Menschen können aber indirekt beeinflusst<br />

werden, indem man ihnen, wie oben geschildert, Beispiele und Anregungen<br />

gibt.<br />

Ein dazu sehr gut geeignetes Beispiel ist der Weltschmerz. <strong>Die</strong><br />

meisten Menschen nehmen ihn recht undifferenziert wahr. Manche<br />

Menschen wehren sich gegen ihn, halten ihn für unproduktiv und für<br />

eine Form versteckten Selbstmitleids, die mit dem Schlechten in der<br />

Welt nichts zu tun hat. Andere wiederum empfinden oft Weltschmerz,<br />

reden häufig darüber, schreiben vielleicht sogar Lieder und Gedichte<br />

über ihn und halten ihn angesichts des Leidens in der Welt für eine<br />

Selbstverständlichkeit oder sogar für eine moralische Pflicht. <strong>Die</strong> meisten<br />

Menschen ignorieren das Thema jedoch einfach. <strong>Die</strong> Auseinandersetzung<br />

mit dem eigenen Schmerz ist schließlich nicht angenehm.<br />

Wie viel der Weltschmerz tatsächlich mit dem Schlechten in der<br />

Welt zu tun hat, kann nicht direkt untersucht werden, weil das<br />

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