Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie
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und seiner Selbst. Auf dem Weg zur Welt, zum Selbst sammelt sich das<br />
Bewusstsein von Körperlichkeit und Geistigkeit. Sie werden erfahren<br />
als Dimensionen von Möglichkeit und Gefährdung. Ihre Erfahrung<br />
bestimmt das Verhältnis von Lust und Schmerz, von Dehnen und<br />
Schützen. Mit dem Tier gemeinsam hat der Mensch die körperlichen<br />
Schmerzquellen, einige höherentwickelte Tiere teilen den menschlichen<br />
Schmerz des Verlustes, der Trauer, der Einsamkeit als Gefühlsregung<br />
auf unmittelbare Zustände. Physisch ursächlicher Schmerz<br />
durch Krankheit oder Verletzung und psychisch ursächlicher Schmerz<br />
im Angesicht des Gewärtigen nehmen ihren Ausgang vom objektiv<br />
begrenzbaren Zustand oder Ereignis. Neben der Dimension des<br />
Gewärtigen, also Wirklichen, wird dem Menschen die Sphäre des ungewärtig<br />
Möglichen und das Labyrinth des allgewärtig Persönlichen<br />
zum Ausgang psychischen Schmerzes. Subjektiv entgrenzte Zustände<br />
oder Ereignisse treten aus dem Möglichen und Persönlichen in die<br />
Wirklichkeit des Bewusstseins. Der Schmerzhorizont des Menschen<br />
wird durch das entgrenzende Bewusstsein über das Ort des Körpers<br />
und Augenblick des Unmittelbaren hinaus nach innen wie außen in<br />
den Raum und die Zeit hinein gedehnt . . .<br />
VI.<br />
Im Café. Besser als zuhause. Da flüstert laut das Schweigen. Hier lautet<br />
und rumort es, vom Schweigen nichts zu hören. <strong>Die</strong> Leute stören<br />
nicht, im Gegenteil. Geselliges Alleinsein, genau richtig dosiert. In Zugabteilen,<br />
bei Pech, wird man vom Redezwang umzingelt. Wenn Leute<br />
sich nicht beschäftigen oder das Nichtreden in Nähe von anderen<br />
nicht aushalten. Im Cafe kann man mittendrin ein Separee bauen.<br />
Meine gesammelten Papiere, einen Stapel leerer Blätter vor mir,<br />
Kaffee, Cognac, Stück Kuchen, Zigarette, ganz klassisch. Gibt zwei, drei<br />
Cafes, wo keiner, den ich kenne, verkehrt. Denkhalbinseln. Also, mal<br />
los jetzt – ›Was ist es, das in uns schmerzt?‹ Mich zum Beispiel, ja,<br />
warum nicht, Induktion, mich schmerzt, dass sie weg ist. Das schmerzt<br />
jeden, wenn die oder der weg ist, die oder den man liebt. Verlust<br />
schmerzt. Und Vorverlust, also etwas nicht zu bekommen, was man in<br />
Kopf oder Herz oder sonstwo schon für sich hat. Aber nur da. Kann genauso<br />
schmerzen wie Verlust von wirklich Gehabtem. Zurückweisung<br />
schmerzt. Niederlage, Verrat, Demütigung. Ob und was und wie es<br />
wen schmerzt, hängt von Spannweite und Empfindlichkeit des betroffenen<br />
Bewusstseins ab. Vom Schamgefühl und von der Eitelkeit zum<br />
Beispiel. Und ›Weltschmerz‹? Müsste eigentlich Selbstschmerz heißen.<br />
<strong>Die</strong> Weltschmerzler leiden an sich genauso wie an der Welt, sie leiden<br />
an sich in der Welt, halten selbst die Welt nicht aus. Spannweite riesig,<br />
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