Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie
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gezogenen Lippen. <strong>Die</strong> ersten Wochen vergingen tadellos. Selten<br />
bekam Elisabeta ihre Herrin zu Gesicht. Tadeusz arbeitete stets in<br />
einem abgedunkelten Zimmer. <strong>Die</strong> Lampe auf seinem Schreibtisch<br />
brannte Tag und Nacht. Er rief in immer kürzer werdenden Abständen<br />
nach neuem Tee. Tadeusz verließ nie das Haus. Tadeusz war nach ein<br />
paar Monaten, nach einem Streit mit seiner Frau, in sein Arbeitszimmer<br />
umgezogen. Ihre Augenbrauen wurden schärfer, ihr Mund immer<br />
dünnlippiger. Eines Montags, Frau Jaworski war, wie immer montags,<br />
auswärts zum Spiel bei ihrer Freundin, brachte Elisabeta Tadeusz den<br />
Tee in sein Zimmer. Sie sah über seinem Schreibtisch zusammengesunken.<br />
Sie ging auf ihn zu, trocknete ihm die Tränen mit ihrem<br />
zierlichen Zeigefinger, und weil die Tränen unaufhörlich waren,<br />
wurde das Trocknen zu einem Streicheln. Tadeusz legte seinen Kopf<br />
an ihren Bauch, und Elisabeta wiegte ihn. Sie glitt mit flacher Hand<br />
über die schwarzen Haare. Das üblich gewordene Vorlesen fiel aus.<br />
Heute gab er keinen Bericht seiner wöchentlichen Gedanken. Über die<br />
Deutschen, seine Gefangenschaft, wie er sein Zuhause nannte, auch<br />
über die Liebe. Tadeusz hatte seit Tagen nichts mehr geschrieben. An<br />
diesem besonders düsteren Montag blickte Tadeusz zu Elisabeta herauf.<br />
Elisabeta wollte die Nähe seiner Lippen verscheuchen. Sie tat es<br />
nicht. Der Liebe des <strong>Die</strong>nstmädchens gegenüber dem Herrn, der Liebe<br />
der Zuhörenden zum Vorleser hatte sich bis zur Morgenfrühe eine<br />
nähere zugesellt. Von da an, immer montags, wenn Frau Jaworski die<br />
Haustür hinter sich ins Schloss fallen ließ, erlebte Elisabeta, wie<br />
Tadeusz sich zwischen Mansarde und Schreibtischsessel wiederbelebte.<br />
*<br />
Else hatte den Hustenanfall überstanden. Sie stürzte abermals einen<br />
großen Cognac herunter, um einen Schrei zu ersticken. Wie verbarrikadiert<br />
wirkte sie auf ihrem Sessel in ihrer Grausamkeit, in ihrer<br />
Erbärmlichkeit. Else lallte unbarmherzig, du hast mir den Mann entrissen,<br />
du hast unsere Welt zerstört, du, das kleine Unschuldslamm<br />
vom Land, hast Beute gerissen wie ein Wolf. Mir blieb nur Sehnsucht.<br />
Und von mir blieb nur Erinnerung. Nichts habe ich verlangt, nur bedingungslose<br />
Liebe. Else, du hast zu viel getrunken, antwortete Elisabeta.<br />
Sie erhob sich aus ihrer knienden Stellung. Ich muss gehen.<br />
Zurück, schrie Else. Vor Elisabeta zerschellte das Cognacglas an der<br />
Tür. Else zündete sich eine Zigarette an. Ich war süchtig danach, euch<br />
zu beobachten, zu sehen, wie weit ihr geht bei eurem Spiel, sobald ich<br />
weg war, wie ihr glaubtet. Tadeusz, der Vorleser, Tadeusz der Liebhaber,<br />
der sanfte. Wie schamlos er war. Ich habe dich hingenommen,<br />
diesen weinerlichen Besitz meines Mannes, an dem nicht zu rütteln<br />
war. Ich Idiot.<br />
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