Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

Solokadenz
Es passiert nichts. Wenn nichts passiert, hat das zur Folge, dass alles,
was passiert, mit gesteigerter Aufmerksamkeit betrachtet, wahrgenommen
wird. Zufällige Dinge. Das löst Chor und Ensemble, den
Mezzosopran aus der Starre.
Ein Reißverschluss wird geöffnet. Ein Schuh scharrt auf dem
Boden. Ein Drahtnotenpult wird zusammengefaltet. Jemand setzt sich
um, streicht über die Jacke.
Durch das Faktum der Generalpause haben die Zufälligkeiten
musikalische Funktion. Eine Solokadenz wie beim Instrumentalkonzert
ist das natürlich nicht.
GENERALPAUSE
Coda
Ein Chorglissando zieht sich durch ganz [E]. Es ist kein echtes. Halbund
Vierteltonschritte bewegen sich abwärts. Die rhythmisch-metrische
Disposition korrespondiert mit dem Anfang, ist identisch mit dem
Prinzip des Sprechchors. Allein, es werden keine einzelnen Impulse
wie oben, sondern liegende Klänge verarbeitet. Die Töne der einzelnen
Stimmen sind gleich lang. Doch jeder Stimme ist ein unterschiedlich
langer Ton zugeordnet: 84 Dauereinheiten im Sopran, 60 im Alt,
105 im Tenor, 35 im Bass. Die zugrunde liegende Einheit (5/6/7) wird
variiert: Zweiunddreißigstel-Sextolen, Zweiunddreißigstel-Quintolen,
Zweiunddreißigstel, Sechzehntel-Sextolen. So kommt es zu einer
proportionalen Spreizung. Das Chorglissando wiederholt sich mehrfach.
Die Dehnung wird immer breiter, das Gesamt wird immer länger.
Es dauert gut neun Takte (erster Durchlauf). Dann zehneinhalb
(Wiederholung). Dann mehr als dreizehn Takte (drittens). Zum
Schluss: achtzehn Takte.
[E] Chor: Was?
Frauenstimme: Ist es der Abschied?
Chor: Der Abschied?
Frauenstimme: Ist es der Zweifel?
Chor: Vielleicht?
Frauenstimme: Ist es der Neid oder die Eifersucht?
Chor: Der Neid? Die Eifersucht?
Frauenstimme: Ist es das Schicksal?
Chor: Schicksal?
Frauenstimme: Ist es der Tod?
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