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Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

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schon abgereist war. <strong>Die</strong> saftigen Blütenblätter für sie waren genau,<br />

wie mit Schablonen vorexerziert, dann leuchtend nach der Art des<br />

malen nach Zahlen gefüllt. Nie uferte eine Farbe über eine scheintote<br />

Linie hinaus und auf manchen Blättern lagen sie dahin gesprenkelt,<br />

kleine glitzernde Wasserperlen wie Feentränen, die die fast abgestorbenen<br />

blauen Prinzen-Entführungsträume meiner Mutter vielleicht<br />

für Minuten zu posthumem Leben erwecken konnten. Und mein Vater,<br />

er würde die Attrappen wohl für den Ausbund an genauer Beobachtung<br />

und künstlerischer Sensibilität halten.<br />

Und dann mein Haus der Kambodschaner: Über die Zeit, die ich<br />

das Haus nun malte, hatte es sich wie von selbst von meinem Willen<br />

frei gemacht. <strong>Die</strong> Schindeln waren verschwunden und die Linien fast<br />

untergegangen, das Wetter hatte sich eine Gewaltigkeit angeeignet, die<br />

dem Westerwald nicht entsprach und die das Haus in ganze Farborgien<br />

tauchte. Alle Formen drängten sich immer entschlossener gegeneinander,<br />

als ob es darum ginge jeden Rahmen zu sprengen. Und das Ganze<br />

wurde immer falscher dachte ich manchmal. ›Norbert, du spinnst‹,<br />

sprach dann wieder jemand zu mir, der nicht tot zu kriegen war. Aber<br />

ich malte weiter, während mich der tatsächliche Fremde immer weniger<br />

interessierte. Einmal entdeckte ich beim flüchtigen Hinsehen im<br />

Vorbeifahren, dass eine Taube auf der Regenrinne des Vordachs direkt<br />

über ihm saß, eine meiner Tauben, deren Füße meine Gedankenwelt<br />

auch kaum mehr bewegten. Und er, wohin er sah, es blieb mein Rätsel,<br />

eines dieser antwortlosen Rätsel, die schon etwas von Sicherheit ausstrahlen,<br />

so klar war es, dass man sie wahrscheinlich nur erfragen<br />

aber nicht lösen konnte.<br />

Dann eines Tages, vielleicht zwei Jahre später, geschah das Unwahrscheinliche.<br />

Ich hatte mich wirklich lange nicht mehr nach<br />

ihm umgesehen, denn dann hätte ich mich auch nach Steinen und<br />

Bushaltestellen verrenken können, so wenig veränderte sich etwas an<br />

seiner Haltung. Aber dann kam dieser Regenmorgen. Was sage ich<br />

Regenmorgen, es war wie der Tag, an dem eine neue Sintflut begonnen<br />

hatte. Aus einem schwarzen Himmel schüttete es Sturzbäche. Jeder<br />

Tropfen war ein böser bohrender Wasserfall, und es gab tausende von<br />

ihnen, als ob die Welt noch in dieser Stunde vom Wasser erschossen<br />

werden sollte.<br />

Langsam kroch der Bus bei rasenden Wischern über die Landstraße.<br />

<strong>Die</strong> Bäume bogen sich unter den Wassermassen, die über<br />

uns hereinbrachen. Und da dann, in Fluterschen sah ich ihn: Er war<br />

nicht mehr auf den Treppenstufen unter dem Vordach, sondern zum<br />

ersten Mal unter freiem Himmel, und dann gerade unter diesem. Wie<br />

Rumpelstilzchen mit hochgerissenen Armen sprang er, der letzte<br />

Mensch, in diesem Wolkenbruch herum.<br />

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