Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie
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Claudel will sagen: ›Was kann das deinen ›Ewig‹-Stoffen schon ausmachen!‹<br />
– aber das Thema ist zu heikel.<br />
›<strong>Die</strong> Bakterien sind Allesfresser, sie verwandeln alles in Abfall,<br />
selbst sein Hirnmaterial‹, erklärt Rodin. ›Seit gestern ist die ursprüngliche<br />
Amygdala wieder drin. Auch die wird gefressen.‹<br />
›Was jetzt?‹<br />
›Aus der Traum! Ich mache die Traditionsversion versandfertig,<br />
und damit scheitere ich dann – aus der Traum vom zehnten Rodin!‹<br />
Claudel versteht Rodins Aufregung und ist zugleich enttäuscht.<br />
Von ihr hat er nicht gesprochen. Auch sie käme nicht mehr durch –<br />
Ende aller Klonung! Warum bleibt sie bei diesem egoistischen Monster?<br />
Das Wochenende ist vorbei, Rodin hat die Traditionsversion eingereicht.<br />
Er ist es leid, weiter an Bakterien zu denken, er hat keine Lust<br />
mehr auf den Geheimdenker, er malt serienweise Aquarelle. Das entspannt.<br />
Claudel eilt herbei: ›Auguste, der Denker erwacht!‹<br />
›Aha‹, sagt Rodin. Der letzte Pinselstrich rutscht ihm aus. Keine<br />
Freude, nur dieser Gedanke: ›Zu spät! Warum so spät?‹<br />
Claudel denkt, Rodin habe nicht zugehört: ›Der Denker hat gelächelt!<br />
Ich glaubte schon an eine Halluzination, da sagte er ›Camille‹.‹<br />
Rodin wirft die Wissensprogramme an, pumpt den Denker acht<br />
Stunden lang mit Weltwissen voll – die Basismodule ›Europa 1F‹,<br />
›Europa 2F‹ und die Aufbauversion ›Europa-Dilettant F‹.<br />
›Warum gleich soviel, Auguste?‹<br />
›Ich will endlich wissen, woran ich bin!‹<br />
Der Denker schläft fast zwölf Stunden. Wie er die Augen aufschlägt,<br />
sitzen Claudel und Rodin bei ihm.<br />
›Guten Morgen‹, sagt der Denker artig.<br />
›Guten Morgen‹, antworten Claudel und Rodin.<br />
Alle drei schweigen gespannt.<br />
›Wer bin ich?‹ fragt der Denker schließlich.<br />
›Der Denker‹, sagt Rodin. ›Von Rodin‹, sagt Claudel.<br />
›Das ist ein Denkmal‹, sagt der Denker, wie aus der Pistole geschossen.<br />
›Das weiß er aus dem Modul »Europa-Dilettant«‹, sagt Rodin zu<br />
Claudel.<br />
›Ich bin kein Denkmal‹, lässt sich der Denker vernehmen. ›Wer<br />
sind Sie, bitte?‹<br />
›Das ist Camille Claudel, Bildhauerin. Ich bin Rodin, Bildhauer.<br />
Auguste Rodin.‹<br />
›Hier stimmt irgendetwas nicht. Sie sollten mir Aufklärung verschaffen,<br />
bitte.‹<br />
›Er ist erstaunlich höflich‹, sagt Rodin.<br />
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