Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie
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Begriff, nur Gefühl. Das Gefühl ist unangenehm, die erste Berührung<br />
mit der Welt liegt dem Schmerz näher als der Lust. Wir sind ausgedehnt<br />
und dehnen uns aus, folgen dem treibenden Impuls des Lebens:<br />
Wachsen. Wir verfügen über die Kraft des Gewöhnens, machen uns<br />
das Ungewohnte zu eigen, beginnen es zu bewohnen. Mit dem Körper<br />
berühren wir andere Körper, belebte und unbelebte. Andere belebte<br />
Körper berühren uns. Jede Berührung markiert die Grenze unserer<br />
Körperlichkeit. Da wo wir auf Welt treffen, ist Widerstand. Im Widerstand<br />
der Welt messen wir uns aus, unsere Grenzen. Schmerz und Lust<br />
sind die äußersten Pole des Widerstands, des Widerstands, den wir<br />
suchen, des Widerstands, den wir fliehen. Weit über unseren Körper<br />
dehnt sich aus, was wir Bewusstsein nennen, das prometheische Element.<br />
Es dehnt sich über den unmittelbaren Raum des Daseins in den<br />
Raum an sich, über das unmittelbar Gegenwärtige des Seins in die Zeit<br />
an sich. Wir sind nicht bloß am Ort, im Augenblick, sondern dehnen<br />
uns in Raum und Zeit. Auch die bewusste Welt lehrt uns Widerstand<br />
und Grenzen. Dadurch erst kommen wir zu uns, zum Selbstbewusstsein.<br />
Nicht von Ungefähr ist das Ziel der hinduistischen und buddhistischen<br />
Lehren die Entselbstung und damit Entgrenzung. Was im All<br />
aufgeht, wird von keinem Widerstand mehr betroffen, es verliert den<br />
Schmerz, aber auch die Lust. Kein Selbst kann All werden. Was selbst<br />
ist, kann nur begrenzt sein, nämlich geworden aus der Erfahrung und<br />
seiend im Bewusstsein von Grenzen. Irdisches Leben und irdisches<br />
Bewusstsein bestimmt sich durch Grenzen, durch das Andere, die<br />
Anderen, das Nochnicht und Nichtmehr. Hier wurzelt das doppelte<br />
Streben: Sich gegen die Grenzen dehnen und hinter den Grenzen<br />
schützen. In welches Verhältnis das Dehnen und Schützen zueinander<br />
kommen, hängt vom Charakter und den Bedingungen seiner Entwicklung<br />
ab. Im Anfang überwiegt das Dehnen, denn mit der Zeugung<br />
beginnend, dehnen wir uns aus. Das Dehnen ist aktiv, der treibende<br />
Impuls des Lebens und alles Lebendigen, auch des Bewusstseins. So<br />
ergreift das wachsende Kind unermüdlich dehnend Besitz von sich<br />
und der Welt, greifend und begreifend. Das Schützen ist passiv, im<br />
Ursprung der sorgende Hüter und folgt dem Dehnen. Wo das Schützen<br />
das Dehnen überwiegt, ist der treibende Impuls des Lebens gebrochen.<br />
<strong>Die</strong> Furcht vor Schmerz überwiegt das Begehren von Lust. Lust dehnt<br />
sich aus, Schmerz zieht sich zusammen. <strong>Die</strong> erste Begegnung mit der<br />
Welt ist Schmerz. <strong>Die</strong> Urerfahrung des Schmerzes ist die Geburt, der<br />
Verlust der Höhle, das plötzliche Bedrängtsein durch die Welt: Das<br />
Geborene zieht sich zusammen im Angefühl der Welt. Dem setzt das<br />
Leben das Vergessen entgegen und die Urlust, in das Bedrängende zu<br />
dringen: Zur Welt zu kommen und zu sich. Der treibende Impuls<br />
gewinnt die Oberhand. <strong>Die</strong> Wärme der Mutter ist erste weltliche Lust.<br />
Der Säugling beginnt sich zu dehnen. Jeder ist Entdecker seiner Welt<br />
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