Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie
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eben im wissenschaftlichen Kontext als so kompliziert und unproduktiv<br />
erwies, wird von uns im Alltag also oft mit Leichtigkeit und mit<br />
großem Nutzen beantwortet.<br />
Über diesen merkwürdigen Zusammenhang zwischen Wissenschaft<br />
und Lebenspraxis schreibt Ludwig Wittgenstein in seinem<br />
Tractatus logico-philosophicus: ›Wir fühlen, daß, selbst wenn alle möglichen<br />
wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme<br />
noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine<br />
Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.‹ 13<br />
Nach den bisherigen Überlegungen ist also anzunehmen, dass es<br />
sich bei der <strong>Preisfrage</strong> weniger um eine wissenschaftliche Frage, als<br />
vielmehr um ein in Frageform dargestelltes lebenspraktisches Problem<br />
handelt. Darum erscheint sie uns emotional bedeutsam, während<br />
sie doch sprachlich nicht sinnvoll beantwortet werden kann. Und<br />
›wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen‹. 14<br />
Tatsächlich brauchen wir über unsere lebenspraktischen Probleme<br />
jedoch nicht zu schweigen, und wir tun das auch nicht. Wir reden<br />
über sie, oft sogar. Manche Leute reden über kaum etwas anderes. Was<br />
wir dabei austauschen, sind freilich nicht einfache allgemeingültige<br />
Antworten und Lösungen. Stattdessen werden Formulierungen gebraucht<br />
wie: ›Also bei mir war es damals so-und-so.‹, ›Ich habe gehört,<br />
man sollte . . . ‹, ›Du darfst auf gar keinen Fall . . . ‹, ›Mein Arzt sagt auch<br />
immer . . . ‹. Im Wesentlich macht man sich beim Sprechen über<br />
Lebensprobleme also Handlungsvorschläge, die exemplarisch durch<br />
den Bericht eigener oder fremder Erfahrungen belegt werden. <strong>Die</strong>ses<br />
heuristische Vorgehen ist keineswegs irrational, sondern oft die einzige<br />
Möglichkeit, die wir überhaupt haben, um Probleme anzugehen,<br />
die so komplex oder voraussetzungsreich sind, dass wir ihre Lösung<br />
nicht einfach ausrechnen könnten. 15 <strong>Die</strong>se im Umgang mit Lebensproblemen<br />
seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden bewährte Methode<br />
soll nun probeweise auch auf unser Problem, die Frage ›Was ist es, das<br />
in uns schmerzt?‹, angewandt werden.<br />
III. Herleitung der Antwort<br />
<strong>Die</strong> oben angeführten Beispiele für alltägliche Situationen, in denen<br />
wir uns fragen, was es ist, das in uns schmerzt, zeigen, wie auch evolutionsbiologische<br />
und emotionstheoretische Arbeiten, 16 dass Schmerz<br />
eine wichtige adaptive Funktion erfüllt: Er dient als Signal, das uns<br />
auf drohende oder schon erfolgte Schädigungen unseres Körpers oder<br />
unserer Psyche aufmerksam macht. Das Signal ›Schmerz‹ alleine nützt<br />
aber natürlich wenig, wenn wir es nicht jeweils interpretieren, indem<br />
wir uns die Frage stellen ›Was ist es, das in mir schmerzt?‹. In manchen<br />
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