Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie
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gewusst, was es bedeutete, bald aber wurde ihm klar, dass etwas von<br />
ihm verlangte, sein glückliches Leben zu beenden. Immer stärker war<br />
dieser Schmerz geworden. Bis heute. Bis jetzt.<br />
Dezember <strong>Die</strong> Sehnsucht<br />
›Mein lieber Shelley, nimm mir die Knappheit dieses Briefes nicht übel,<br />
doch gebietet mir mein Zustand, mich kurz zu fassen. Dass ich mich<br />
hierher, nach Zypern begab, um am Unabhängigkeitskampf gegen die<br />
Okkupatoren teilzunehmen, erscheint dir sicherlich als Fehler, als<br />
Frevel womöglich. Zumal ich nun niedergestreckt liege – nicht von<br />
Granatfeuer oder Bomben, sondern vom tödlichen Hauch des Lungenmilzbrands.<br />
Doch ist mir ein solches Ende bei weitem lieber, als sinnlos<br />
in den Tag hinein zu leben. Wie beengte mich die Sicherheit<br />
meines Daseins, der festgefahrene Alltag. Immer stärker wuchs in mir<br />
ein seltsames Gefühl, das ich nicht kannte und das mich förmlich wegzuziehen<br />
schien aus vertrauter Umgebung. Nun endlich kann ich das<br />
Meer betrachten, ohne den Schmerz zu spüren, der mich daheim<br />
befiel, der mir sagte: ‚Geh!‘ Durch Wüsten lief ich, mein Freund, und<br />
höchste Berge überquerte ich. Aber wo werde ich sein, wenn des Engels<br />
Posaune erschallt? Ich sehnte mich nach einem Sinn in meinem Leben<br />
und werde hier doch nur die Ruhe des Todes finden. Ich möchte dich<br />
umarmen, dir Gutes wünschen und dich warnen vor diesem süßen<br />
Schmerz, diesem Ruf, dem ich folgte. Ich sehne mich danach, endlich<br />
fort zu sein.<br />
In Liebe, dein Byron.‹<br />
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