Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie
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Der Monsunist oder die Macht der zweiten Frage<br />
Sibylle Summerer<br />
Ich hatte zwei Fragen, als ich ein Kind war, und die zweite hat über<br />
mein Leben entschieden.<br />
Vielleicht hatte ich noch mehr und ich erinnere mich einfach<br />
nicht an sie, aber ich glaube es nicht, weil ich aus einer Welt komme,<br />
die sich für aufgeklärt hielt. Das kam vom Oberwammbacher Postschalter,<br />
wo auch ich manchmal an Stelle meiner Eltern bedienen<br />
durfte. Das Porto aller gängigen Länder war mir bekannt und wenn<br />
mich jemand um die Marke für ein unbekanntes Ziel wie Pakistan<br />
zum Beispiel bat, was nur ein Mal passierte, dann kam mir so was<br />
spanisch vor, und mit solchen Sachen beschäftigte ich mich nicht.<br />
Einmal fuhren wir mit meinen Eltern und meiner Schwester nach<br />
Köln, als ich etwa zehn war. Ich weiß nicht mehr, was wir dort suchten,<br />
sicher nicht den Dom, aber wir fanden ihn trotzdem. Er ließ uns<br />
alle kalt. Aber unter den dinosaurieralten Steinbergen der Kirche<br />
erwischte es mich: Da hüpften und stolperten, humpelten und watschten<br />
auf aufgescheuerten Gelenken hunderte von mausgrauen Tauben<br />
und mir war es, als ob sie alle behindert wären. Manche hatten Knollenfüße<br />
ohne Zehen, die anderen hatten Klumpstumpen oder nur noch<br />
Knie. <strong>Die</strong> luxuriösen Krüppel unter ihnen hatten Beulenkrallen mit<br />
Zehen oder es fehlten ihnen nur ein oder zwei Finger.<br />
›Papa, warum haben die Tauben alle kaputte Füße?‹ fragte ich<br />
meinen Vater.<br />
›Lass mich bloß in Ruhe mit diesen ekligen Viechern!‹ sagte er,<br />
und als ich Mama fragte, hatte sie Kopfschmerzen von der schlechten<br />
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