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Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

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darüber willkürliche Verfügung, denn als ob ihre Bilder nicht kämen,<br />

wann sie es wollten! <strong>Die</strong> Erinnerung beeinflusst die Erwartung, aber<br />

die Vergangenheit gibt niemals Gewissheit über die Zukunft. Unser<br />

Bewusstsein der Zeit ist uns Bewusstsein der Ungewissheit. Wir vermöchten<br />

sie zwar zu messen, die Zeit, aber schon eine Stunde kann<br />

uns Ewigkeit sein, endlos, oder nur Augenblick, verflogen. Da zeigt die<br />

Ungewissheit sich, auch über das Maß, das feste Maß der Zeit und<br />

nicht nur der Zeit im Fluss des unaufhaltsamen Vergehens. Woran sich<br />

festhalten im Strom der Veränderung? Sich überhaupt festhalten?<br />

Nicht jeder kann es aushalten, Treibholz zu sein. Ungewissheit aber<br />

bedingt Maßlosigkeit, sich selbst und anderen gegenüber. Auch da sind<br />

es fließende Grenzen, die im Trennen verbinden, und kein Wissen<br />

schützt uns davor, sowenig wie Unwissenheit vor der Verantwortung<br />

schützt. Das Maß liegt, wenn, nicht im Wissen, sondern im Gewissen,<br />

und nur das Gewissen vermag das Bewusstsein vor der Maßlosigkeit<br />

zu schützen, die ihm innewohnt, denn es ist gerade das Bewusstsein,<br />

das Gewissheit vernichtet. So heißt Bewusstsein nicht vor allem:<br />

Zweifeln-Können, sogar: Zweifeln-Müssen und Verzweifeln? Denn im<br />

Zweifeln, meine Freundin, steckt die Zwei, die Zweiheit, der Zwiespalt<br />

und die unstillbare Sehnsucht nach Vereinigung, nach Einheit und<br />

Gewissheit, dem Urgrund menschlicher Liebe. Das prometheische<br />

Feuer hat diesen Spalt erhellt, den Spalt, durch den man schlüpfen<br />

kann, hinaus ins ungewiss Mögliche. Den Spalt, der unschließbar im<br />

Innern bleibt, die offene Tür, hinter der das Ungewisse ewig lauernd<br />

liegt und drohend oder lockend seinen Schatten wirft im prometheischen<br />

Licht. Wahnsinn, Fanatismus oder Glaube stillen manchen<br />

Durst, den Durchlass endlich mit Gewissheit zu versprengen, und der<br />

Epochen Halbgewissheiten winken immer wieder mit dem Schlüssel<br />

für die Tür ohne Schloss. Das Ungewisse drängt uns: Denken, Nachdenken,<br />

Entscheiden, Handeln, doch jenseits von Instinkt und Trieb<br />

bleibt das freie Maß dafür gefordert, aber der Mensch ist von Prometheus<br />

verurteilt worden, selbst sein ungewisses Maß zu sein, gefesselt<br />

endlich an die Ungewissheit und zugleich erfüllt vom Drang, ihr<br />

unendlich zu entfliehen. Es bleibt uns als Gewissheit auf Erden nur<br />

der Spalt, der Spalt zwischen Ich und Welt, der Spalt zwischen Ich und<br />

sich, der Spalt, mit Fragen gefüllt, nie versiegenden Fragen. Und das<br />

ist unsere Frage: Ist Menschsein eine Strafe? <strong>Die</strong> Strafe, unendlich antworten<br />

zu müssen auf die nie versiegenden Fragen aus dem schmerzenden<br />

Spalt der Ungewissheit, den das Licht des Bewusstseins in die<br />

sich selbst genügende Gewissheit der Natur gebrochen hat . . .<br />

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