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Preisfrage 2001 - Die Junge Akademie

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und des Körpers. <strong>Die</strong> Schmerzerfahrung, an das Individuum und<br />

dessen Körper gebunden, fragt nach deren problematischer Bildung:<br />

Wie der Körper, die Sinne und das Wissen um diese, ist auch der<br />

Schmerzsinn ein historisches Konzept. <strong>Die</strong> Frage nach dem Schmerz<br />

kann also nicht generalisierend beantwortet werden. Neben physiologischen<br />

Konzepten lohnt es sich auch metaphysische und ästhetische<br />

Entwürfe heranzuziehen. Auch wenn – oder gerade weil – mit der<br />

Durchsetzung eines aufgeklärten Denkens seit dem 18. Jahrhundert<br />

eine gerade auch für die Auffassung des Menschen im Schmerz<br />

begründende Verbindung von Medizin, Kunst und Religion aufgelöst<br />

wurde. 6 <strong>Die</strong>se Entwicklung führt weg von einer etwa im magischen<br />

Denken zu beobachtenden Einheit und hin zu konkurrierenden Konzepten<br />

des Körpers, des Wissens und der Praxis des Menschen. Sie hat<br />

insbesondere auch Konsequenzen für die Auffassung dessen, was der<br />

Schmerz sei. – Treffen in seiner Erfahrung, in der Interpretation der<br />

noxischen Sinneseindrücke, doch die diese begründenden Elemente des<br />

Individuums zusammen, begegnen sich Körper, Wissen und Praxis.<br />

Doch im Schmerz wird der Mensch nicht nur auf auseinander tretende<br />

metaphysisch oder medizinisch kodierte Erfahrungen verwiesen. Der<br />

Schmerz und die durch ihn bewirkte Gestaltungen bedürfen zu ihrem<br />

Ausdruck der Medialisierung in sprachlichen, gestischen oder bildlichen<br />

Formen. In ihr – genauer: in deren Vermittlung – wird der<br />

Mensch jenseits medizinischer Objektivierung des Schmerzsinns auf<br />

eine Erfahrung des nicht Sichtbaren und nicht Einsichtigen verwiesen.<br />

<strong>Die</strong>se mag etwa religiös konzeptioniert werden und kann eine reiche<br />

Ikonologie aufweisen. Der nicht in der unmittelbaren Anschauung<br />

zu hinterlegende Schmerzsinn verweist den Menschen auf eine transzendente<br />

Dimension und auf deren gleichzeitige Verwirklichung im<br />

Realen der Erfahrung. Doch diese bleibt zugleich ein unmittelbar<br />

Unaussprechliches. Zu ihrem angemessenen Ausdruck verlangt sie<br />

nach einer symbolischen Ordnung oder Handlung: <strong>Die</strong> erste dieser<br />

möglichen Ordnungen ist eben ein magisches Denken, das im <strong>Die</strong>nst<br />

des Schamanen der Heilkunst verbunden bleibt. <strong>Die</strong> zweite ist die<br />

Heilkunst, die in ihrer Wendung zur objektiven Wissenschaft jedoch<br />

ihre symbolische Dimension zunehmend negiert. <strong>Die</strong> dritte mögliche<br />

Ordnung wird schließlich von den Künsten gebildet, in denen die symbolischen<br />

Formen und Vermögen des sich in ihrer Praxis symbolisierenden<br />

Menschen in Anschlag gebracht werden. Vor ihrer Ausdifferenzierung<br />

als autonomes Handlungssystem und als Wissenskonzept mit<br />

den beiden anderen genannte Ordnungen eng verbunden, reagieren<br />

die Künste ebenfalls als Praxis, Haltung und Erfahrung auf die<br />

Schmerzen des Menschen. Nicht nur in Beispielen aus der mythischen<br />

und der christlichen Tradition – des leidenden Marsyas oder des Heilands<br />

als Schmerzensmann – kann der Reigen des Körpers im Schmerz<br />

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