Beziehungsweise(n) - SSOAR
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ner sollten nun psychisch und erotisch verschmelzen, die Beziehung<br />
dauerhaft und exklusiv imaginiert und geführt werden. 2 Dieses ausschließlich<br />
mit der Ehe verbundene Beziehungsmodell war im<br />
19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf wohlhabende Bevölkerungsschichten<br />
beschränkt, dehnte sich jedoch allmählich auch in<br />
andere Bevölkerungsschichten aus und erlebte schließlich in den<br />
1950er Jahren seinen Höhepunkt im Hinblick auf Ausbreitung und<br />
gesellschaftliche Legitimation. Die moderne Kleinfamilie verdankt<br />
ihre Genese und Wirkung also einem langfristigen strukturellfunktionalen<br />
Differenzierungsprozess von Gesellschaft in unterschiedliche<br />
Teilbereiche (Wirtschaft, Politik, Religion, Recht, Wissenschaft)<br />
mit ganz bestimmten Funktionen. Strukturwandel der<br />
Familie in der Moderne stellt sich insofern als Prozess der Auslagerung<br />
von (aus heutiger Sicht) nicht-familialen Funktionen (wie Produktion,<br />
Ausbildung, Altersversorgung) und der Spezialisierung der<br />
sich herausbildenden Familie als ein Teilsystem der Gesellschaft auf<br />
einen nur ihr eigenen Funktions- und Handlungskomplex dar. Die<br />
zuvor vor allem von ökonomischen Anforderungen bestimmten familialen<br />
Beziehungen sind im Verlauf dieses Prozesses zugunsten<br />
emotionaler Beziehungen zurückgetreten. Der Idealtypus dieses<br />
bürgerlichen Familienmodells, das – wie Martin Walser bereits 1957<br />
in den „Ehen in Philippsburg“ 3 eindrücklich zeigte –häufig in der sozialen<br />
Wirklichkeit nur als eine Fassade, die die in der Beziehung<br />
vorherrschende emotionale Leere verhüllt, oder als erdrückendes<br />
‚Gefängnis’ erlebt wurde, kann etwas überzeichnend, wie folgt, beschrieben<br />
werden:<br />
Ein Mann und eine Frau heiraten einander aus gegenseitiger<br />
Zuneigung, bekommen zwei bis drei Kinder, mit denen sie in einem<br />
Haus oder einer Wohnung zusammen leben. Der Mann begibt sich<br />
morgens zur Arbeit, während die Frau sich um Kinder und Haushalt<br />
kümmert. Sie kocht das Essen und umsorgt den Mann, wenn er erschöpft<br />
von der Arbeit kommt. Ein- oder zweimal im Jahr, zu Ostern<br />
oder Weihnachten, versammelt sich die Kernfamilie mit anderen<br />
Verwandten „bei Großmutter". Ansonsten hält jeder Distanz und<br />
kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten. Nach diesem<br />
„idealen“ Modell leben die Mitglieder der Familie relativ isoliert von<br />
der übrigen Sippe und vom Rest der Gemeinschaft. Diese Isolation<br />
wird jedoch durch eine größere emotionale Wärme innerhalb der<br />
Kleinfamilie kompensiert. Vater, Mutter und Kinder müssen einander<br />
„alles“ bedeuten. Vertrauen und Zuneigung zueinander sollen sie<br />
2 Vgl. Gay, P. (1999).<br />
3 Vgl. Walser, M. (1997).<br />
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