Jesus versus Jaldabaoth – Gnostische Elemente in ... - Radikalkritik
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Dar<strong>in</strong>, dass der Demiurg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Quellen zunächst als gestaltlos beschrieben<br />
wird, spiegelt sich gnostisches Denken, das morphē nur dem<br />
zuschreibt, was irgendwie göttlichen Wesens, göttlichen Ursprungs ist.<br />
Während das Kennzeichen der göttlichen Sphäre die Gestalt ist, ist das<br />
Kennzeichen der materiellen Schöpfung zunächst die Gestaltlosigkeit,<br />
das Amorphe, 83 das mitunter durch das Bild der „Fehlgeburt“ ausgedrückt<br />
wird. 84 Vielleicht liegt dabei e<strong>in</strong>e Rem<strong>in</strong>iszenz an das Tohuwabu<br />
des ersten Schöpfungstages zugrunde (Gen 1:2). Die Priesterschrift beschreibt,<br />
dass die Erde „wüst und leer war und es f<strong>in</strong>ster war auf der Tiefe<br />
(abyssos); und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“ Den an<br />
der Kosmogenese <strong>in</strong>teressierten Gnostikern wird diese Stelle nicht entgangen<br />
se<strong>in</strong>. 85<br />
(2) Wie wir sahen, musste Baurs Auslegung des Christushymnus<br />
hauptsächlich deswegen scheitern, weil es ihm und se<strong>in</strong>en wenigen<br />
Nachfolgern nicht gelang, se<strong>in</strong>e These, das Streben der Sophia, sich mit<br />
dem Vater zu vere<strong>in</strong>igen, müsse als „harpagmos“ gedeutet werden, term<strong>in</strong>ologisch<br />
zu verifizieren. Tatsächlich kann e<strong>in</strong> entsprechender bzw.<br />
ähnlicher Begriff <strong>in</strong> diesem Zusammenhang nirgendwo nachgewiesen<br />
werden.<br />
Ganz anders verhält es sich mit dem Sohn der Sophia, dem Demiurgen<br />
<strong>Jaldabaoth</strong>, der <strong>in</strong> manchen gnostischen Mythen aufs engste mit dem<br />
Motiv des Raubens verknüpft wird und der se<strong>in</strong> Gottgleichse<strong>in</strong> offensichtlich<br />
der Tatsache verdankt, dass er se<strong>in</strong>er Mutter die göttlichen Kräfte<br />
mit Gewalt nahm. Das Motiv des „Lichtraubs“ bzw. des „Kraftraubs“<br />
des Demiurgen f<strong>in</strong>det sich bei Irenäus, vor allem aber <strong>in</strong> zwei gnostischen<br />
Orig<strong>in</strong>altexten von Nag Hammadi, dem Apokryphon des Johannes<br />
und der (möglicherweise darauf basierenden) dreigestaltigen Protennoia.<br />
83 Iren Haer 2.3.1; Protennoia (NHC XIII/1) p. 45,23f. „..der dem All Ebenbildlichkeit<br />
gegeben hatte, als es ke<strong>in</strong>e Gestalt hatte.“ <strong>–</strong> Wie überall, gibt es Ausnahmen,<br />
TractTrip (NHC I/5) p. 54,29ff. (vom göttlichen Urgrund) sche<strong>in</strong>t das Gegenteil zu gelten.<br />
84 HA (NHC II/4) p. 94,15; UW (NHC II/5)p. 99,9; 115:5; Iren Haer 2.30.4; Hipp Ref<br />
5.17; 6.31.36; 7.26: „Nachdem dies so vor sich gegangen war, sollte auch die Gestaltlosigkeit<br />
bei uns erleuchtet und der <strong>in</strong> der Gestaltlosigkeit wie e<strong>in</strong>e Fehlgeburt zurückgelassenen<br />
Sohnschaft das Geheimnis erschlossen werden,…“: dazu vgl. auch Gilhus<br />
1984 über den Abortus als Metapher <strong>in</strong> der Gnosis.<br />
85 Vgl. auch Hipp Ref 5:19: „Von oben stammte er, e<strong>in</strong> Strahl jenes vollkommenen<br />
Lichtes, im dunkeln, furchtbaren, bitteren, fauligen Wasser überwältigt; dies ist der<br />
leuchtende Geist, der über den Wassern schwebt (Gen. 1, 2).“ Fredriksen 1979 weist<br />
überdies auf antike Theorien über die Entstehung des Embryos h<strong>in</strong>. Danach trägt der<br />
Mann zu der Entstehung e<strong>in</strong>es Embryos die „Form“ bei, während die Frau das Materielle<br />
beisteuert. Vgl. Arist. Gn. An., 729a 9f., 730a 24f; vgl. Gilhus 1984, S. 112. Vgl.<br />
auch Wyrwa 2009, S. 109ff.<br />
© Hermann Deter<strong>in</strong>g <strong>–</strong> www.radikalkritik.de 2013