Jesus versus Jaldabaoth – Gnostische Elemente in ... - Radikalkritik
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Jedenfalls s<strong>in</strong>d alle gängigen Erklärungen kaum <strong>in</strong> der Lage, den<br />
Anstoß, der mit dem rätselhaften omoiōma nun e<strong>in</strong>mal gegeben ist,<br />
wirklich zu beseitigen.<br />
Dass <strong>in</strong> dem Vers von der vollen Menschheit Christi gesprochen wird,<br />
will umso weniger plausibel ersche<strong>in</strong>en, als es e<strong>in</strong>e Auslegung des Textes<br />
gibt, <strong>in</strong> dem schon sehr früh, im 2. Jahrhundert, die entgegengesetzte<br />
Richtung e<strong>in</strong>geschlagen wird. Ke<strong>in</strong> Ger<strong>in</strong>gerer als der Erzketzer Marcion<br />
benutzt den Vers des Christushymnus als als Bestätigung se<strong>in</strong>er Theorie,<br />
Christus habe e<strong>in</strong>en Sche<strong>in</strong>leib besessen. Chrysostomos gibt die<br />
Diskussion zwischen Marcioniten und Katholiken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er<br />
Predigten sehr lebendig wieder:<br />
„‚Siehe’, sagt er, ‚er wurde nicht als Mensch, sondern <strong>in</strong> der<br />
Gleichgestalt des Menschen erfunden’“. Chrysostomos, hom. 7 <strong>in</strong> Phil:<br />
„Was sagen nun die Häretiker? Siehe, sagt man, er ist nicht (wirklich)<br />
Mensch geworden — die Anhänger des Marcion me<strong>in</strong>e ich —, sondern<br />
was? Er ist nur ‚den Menschen ähnlich’ geworden, sagt man. Wie aber<br />
ist es möglich — den Menschen ähnlich zu werden? Durch Annahme<br />
e<strong>in</strong>es Sche<strong>in</strong>leibes? … Und <strong>in</strong> der äußeren Ersche<strong>in</strong>ung wie e<strong>in</strong><br />
Mensch erfunden’. — Siehst du, heißt es, ‚<strong>in</strong> der äußeren Ersche<strong>in</strong>ung’<br />
und ,wie e<strong>in</strong> Mensch’. Dieser Ausdruck aber ,wie e<strong>in</strong> Mensch se<strong>in</strong>’ und<br />
‘<strong>in</strong> der äußeren Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong> Mensch se<strong>in</strong>’ bezeichnet nicht e<strong>in</strong>en<br />
wirklichen Menschen; denn ‘<strong>in</strong> der Ersche<strong>in</strong>ung’ Mensch se<strong>in</strong>, ist doch<br />
nicht gleichbedeutend mit ‚von Natur’ Mensch se<strong>in</strong>.“ 117<br />
Der weitere Verlauf der Diskussion zeigt, wie sehr die Marcioniten den<br />
Kirchenchristen mit ihrer Deutung zu schaffen machen. Letztere hatten<br />
ihrer Argumentation nur wenig entgegenzusetzen.<br />
Chrysostomos ist nicht der e<strong>in</strong>zige, von dem wir etwas darüber<br />
erfahren, wie die Marcioniten den Christushymnus auslegten. Auch<br />
Esnik von Kolb weiß, dass Marcion und se<strong>in</strong>e Anhänger aus Phil 2:7<br />
Kapital für ihre Sche<strong>in</strong>leibthese zu schlagen versuchten: „Nur nach<br />
Ähnlichkeit wurde <strong>Jesus</strong> Mensch.” 118<br />
Die Zitate s<strong>in</strong>d erstaunlich, sie zeigen: So e<strong>in</strong>deutig, wie manche<br />
heutige Theologen glauben, kann die volle Menschheit Christi <strong>in</strong> Phil 2:7<br />
nicht bezeugt worden se<strong>in</strong>, wenn Marcion und se<strong>in</strong>e Anhänger das<br />
genaue Gegenteil dar<strong>in</strong> sahen und hier e<strong>in</strong>en handfesten Beweis für die<br />
Richtigkeit ihrer doketischen Vorstellungen herauslesen konnten.<br />
Als e<strong>in</strong>er von wenigen ist der Bruno Bauer-Forscher Ernst Barnikol auf<br />
den marcionitischen Charakter des Abschnitts Phil 2:6-7 aufmerksam<br />
geworden. In se<strong>in</strong>er Untersuchung „Der marcionitische Ursprung des<br />
117 Chrysostomos, hom. 7 <strong>in</strong> Phil, Übersetzung von Barnikol 1932, S. 86.<br />
118 Esnik von Kolb, De Deo 4:7f. Darüber mehr bei Barnikol 1932, S. 87ff.<br />
© Hermann Deter<strong>in</strong>g <strong>–</strong> www.radikalkritik.de 2013