Jesus versus Jaldabaoth – Gnostische Elemente in ... - Radikalkritik
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überhaupt weltliche Machthaber als historische Größen, die für den Tod<br />
Jesu verantwortlich se<strong>in</strong> sollen, kannte. In se<strong>in</strong>en Briefen ist jedenfalls<br />
nicht von ihnen die Rede, wie ja überhaupt die näheren Umstände der<br />
Kreuzigung Christi völlig ausgeklammert bleiben.<br />
Immerh<strong>in</strong> gibt es auch die Möglichkeit, dass sich die Vorstellungen<br />
des Verfassers des 1. Kor<strong>in</strong>therbriefes <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es mythologischen<br />
Rahmens bewegen, der ganz ohne menschliche „Exekutoren“, die den<br />
auf die Erde gekommenen Gottessohn töten, auskommt. E<strong>in</strong>ige Texte aus<br />
der gnostischen Bibliothek von Nag Hammadi könnten die Existenz e<strong>in</strong>es<br />
solchen Mythos belegen. In Umrissen lassen sie die Züge e<strong>in</strong>es mythologischen<br />
Dramas erkennen, das auf re<strong>in</strong> supranaturaler Ebene spielt. Die<br />
Tötung des Gottessohnes ist hier nicht das Werk von Menschen, sondern<br />
ausschließlich von dämonischen Mächten.<br />
Zumal <strong>in</strong> dem schon zitierten Abschnitt aus dem Gedanken unserer<br />
großen Kraft, Noēma (NHC VI/4) p. 41,20ff. sche<strong>in</strong>t dies der Fall zu<br />
se<strong>in</strong>. Der Abschnitt erzählt zunächst, wie die Archonten aufgrund de<br />
Wirkens des Erlösers <strong>in</strong> Verwirrung geraten und ihm den Herrscher der<br />
Unterwelt übergeben wollen. Nach der „Auslieferung“ durch e<strong>in</strong>en der<br />
„Gefolgsleute“, dessen Name nicht genannt wird und bei dem es sich<br />
ke<strong>in</strong>eswegs, wie Lüdemann vermutet, um Judas handeln muss, wird der<br />
Erlöser von diese dämonischen Mächten ergriffen usw.<br />
Wie schon bemerkt, haben wir es hier mit e<strong>in</strong>er klassischen Variante<br />
des bekannten gnostischen Erlösermythos zu tun. Der Erlöser weilt unerkannt<br />
auf der Erde, se<strong>in</strong> Wirken, <strong>in</strong>sonderheit die Totenerweckungen,<br />
ruft Unruhe unter den kosmischen Mächten, den Archonten, hervor. Von<br />
anderen unterscheidet sich diese Version vor allem durch den Auftritt e<strong>in</strong>es<br />
„Auslieferers“. Da die Archonten den Erlöser nicht kennen, lassen sie<br />
sich den Erlöser durch e<strong>in</strong>en Nachfolger bekanntmachen. Von ihnen<br />
(nicht vom „Auslieferer“) wird dieser sodann (Sasabek) und Beroth ausgehändigt.<br />
Doch auch der Herr der Unterwelt bekommt ihn nicht zu fassen,<br />
da sich die ganz andere „Art se<strong>in</strong>es Fleisches“ <strong>–</strong> hier macht sich der<br />
gnostische Doketismus bemerkbar <strong>–</strong> der niederen Erkenntnis des beschränkten<br />
Unterweltherrschers entzieht.<br />
Insgesamt fallen merkwürdige Unterscheide zu den Evangelienberichten<br />
<strong>in</strong>s Auge. Statt der dreißig Silberl<strong>in</strong>ge werden neun Bronzemünzen<br />
für die Auslieferung des Erlösers ausgehändigt, und zwar nicht an den<br />
„Auslieferer“, sondern an die Archonten. Zudem fehlen die aus der Passionsgeschichte<br />
bekannten dramatis personae: Pontius Pilatus, Herodes,<br />
Kaiphas und das Volk. Statt der weltlichen römischen und jüdischen<br />
Herrscher begegnen kosmische Mächte, die Archonten, der Herrscher der<br />
Unterwelt.<br />
Man kann sich schwer vorstellen, dass der hier vorliegende Mythos<br />
aus 1 Kor 2:8 oder aus der neutestamentlichen Passionsgeschichte herausgesponnen<br />
wurde <strong>–</strong> was jedoch der Fall se<strong>in</strong> müsste, wenn wir der<br />
© Hermann Deter<strong>in</strong>g <strong>–</strong> www.radikalkritik.de 2013