Jesus versus Jaldabaoth – Gnostische Elemente in ... - Radikalkritik
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1 Kor 2:6-8 <strong>–</strong> Wer s<strong>in</strong>d die „Herrscher<br />
dieser Weltzeit“?<br />
E<strong>in</strong>en weiteren H<strong>in</strong>weis darauf, dass wir bei dem Verfasser der Paulusbriefe<br />
mit ziemlicher Sicherheit Kenntnis der gnostischen Systeme des 2.<br />
Jahrhunderts annehmen dürfen, erhalten wir im 1. Kor<strong>in</strong>therbrief. 1 Kor<br />
2:6-8 verkündet der Verfasser e<strong>in</strong>e „Weisheit unter den Vollkommenen“,<br />
nicht dieses Äons, auch nicht der Herrscher dieses Äons, die vernichtet<br />
werden; sondern wir reden Gottes Weisheit im Geheimnis,<br />
die verborgene, die von Gott vor Äonen zu unserer Herrlichkeit<br />
vorherbestimmt wurde, die ke<strong>in</strong>er der Herrscher dieses Äons erkannt<br />
hat; denn wenn sie (sie) erkannt hätten, hätten sie den<br />
Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.<br />
Seit jeher umstritten ist die Frage, wer hier mit den „Herrschern dieser<br />
Weltzeit“ geme<strong>in</strong>t sei. Schon <strong>in</strong> der Auslegung der alten Kirche g<strong>in</strong>gen<br />
die Ansichten darüber ause<strong>in</strong>ander, ob es sich dabei um irdische Machthaber<br />
(Deutung 2) oder um dämonische Mächte (Deutung 1) handele. E<strong>in</strong>er<br />
der ersten Ausleger der Stelle war Marcion. Während dieser <strong>in</strong> den<br />
„Herrschern dieser Weltzeit“ die im Dienste des Demiurgen stehenden<br />
geistige Mächte sah (=die Archonten bzw. Gestirn- Planetenmächte der<br />
Gnosis), erblickte se<strong>in</strong> Widerpart Tertullian <strong>in</strong> ihnen die weltlichen<br />
Machthaber, konkret: Herodes und Pilatus. 156<br />
Die Interpretation des Häretikers fand bei den Kirchenvätern wenig<br />
Anklang. Deren Deutung hatte lange Zeit die Vorherrschaft und wurde<br />
erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts von den Vertretern der Religionsgeschichtlichen<br />
Schule <strong>in</strong> Frage gestellt. Zumeist wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />
auf die Veröffentlichung des e<strong>in</strong>flussreichen Buches von<br />
Mart<strong>in</strong> Dibelius: „Die Geisterwelt im Glauben des Paulus“, 1909, verwiesen.<br />
Doch schon zwei Jahrzehnte zuvor war e<strong>in</strong> Werk über die „paul<strong>in</strong>ische<br />
Angelologie und Dämonologie“ von Otto Everl<strong>in</strong>g erschienen, <strong>in</strong><br />
dem dieser <strong>–</strong> ebenso wie später Dibelius <strong>–</strong> der herrschenden Auffassung<br />
e<strong>in</strong>e Absage erteilte und schlüssig begründete, warum 1Kor 2:8 ke<strong>in</strong>e irdischen<br />
Machthaber geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> können, sondern dämonische Mächte<br />
geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> müssen. Da als irdische Machthaber nach se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung<br />
nur Pilatus und Kaiphas <strong>in</strong> Frage kämen, sei es schwer verständlich, warum<br />
die Beschuldigung der Kreuzigung des Herrn „auf alle Mächtigen<br />
der Erde“ ausgedehnt werde. Außerdem passe das katargoumenōn („die<br />
vernichtet werden“, Präsens) nicht zu den beiden, da sie zu dem Zeitpunkt,<br />
„als Paulus den ersten Kor<strong>in</strong>therbrief schrieb, sicher doch meist<br />
nicht mehr im Leben“ waren, „so dass sie nicht mehr denjenigen zuge-<br />
156 Tertullian Marc 5.6.8.<br />
© Hermann Deter<strong>in</strong>g <strong>–</strong> www.radikalkritik.de 2013