Strafzumessung und Verteidigerstrategie - Ferner & Kollegen
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angreifbar.1 Die Verteidigung der Rechtsordnung rechtfertigt<br />
die Verhängung einer Freiheitsstrafe, wenn wegen der<br />
Besonderheiten des Einzelfalles für das allgemeine<br />
Rechtsempfinden die Verhängung lediglich einer Geldstrafe<br />
schlechthin unverständlich wäre.2 Die Verhängung einer<br />
Freiheitsstrafe muss für jeden erkennbar unerlässlich sein3:<br />
unerlässlich ist die Freiheitsstrafe nur, wenn die Geldstrafe<br />
den spezial- oder generalpräventiven Zweck des Strafens<br />
offensichtlich nicht mehr erreichen kann.4 Gegen die<br />
Anwendung des Begriffs „Verteidigung der Rechtsordnung“<br />
wird seit Jahren in der Literatur5 geschrieben, ohne allerdings<br />
dass es zu einer Beanstandung des Verfassungsgerichts<br />
gekommen ist. Die „Verteidigung der Rechtsordnung“ spielt<br />
auch eine Rolle bei der Frage, ob eine Freiheitsstrafe von<br />
mehr als sechs Monaten zu vollstrecken ist, obwohl dem<br />
Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt wird. In<br />
diesen Fälle muss das Gericht eine Kriminalprognose gemäß<br />
§ 56 Abs. 3 StGB erstellen. Wird eine günstige<br />
Kriminalprognose bejaht, kann die Frage der Vollstreckung<br />
einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung erst<br />
danach diskutiert werden.6<br />
Eine Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten darf nur<br />
verhängt werden, wenn hierfür besondere Umstände gemäß § 47<br />
Abs. 1 StGB sprechen. Die Urteilsgründe müssen dann im einzelnen<br />
die Umstände anführen, die zur Ablehnung einer Geldstrafe geführt<br />
haben.7<br />
Bei der Verurteilung gegen eines Bagatelledeliktes wird die<br />
Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen häufig als unangemessen<br />
gesehen 8 . Allerdings ist die Verhängung von Freiheitsstrafen nicht<br />
generell ausgeschlossen. Die Häufung von Taten mit geringer Schuld<br />
lässt auch auf hartnäckiges rechtsmissbräuchliches <strong>und</strong><br />
gemeinschaftsschädliches Verhalten schließen, das wiederum die<br />
Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen rechtfertigt. Eine<br />
Verhängung einer kurzfristiger Freiheitsstrafe unter sechs Monaten<br />
kommt in Betracht, wenn unter dem Gerichtspunkt der<br />
Spezialprävention oder dem Strafzweck zur Einwirkung auf den Täter<br />
durch eine Geldstrafe nicht mehr erreicht werden kann.<br />
1 Hassemer in Festschrift für Coing S. 493<br />
2 OLG Köln StV 84,378 ; BGH St 24, 40<br />
3 Xanke, Rdnr. 277<br />
4 OLG Düsseldorf StV 86,104<br />
5 Naucke, Verteidigung der Rechtsordnung, Berlin 1972; Knoche, Blutalkohol 70,<br />
189; Köhler JZ 89, 697<br />
6 OLG Dresden VRS 99,75<br />
7 OLG Düsseldorf VRS 84, 229; BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 2, 4<br />
8 OLG Stuttgart, NJW 2002, 3188; OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 78; OLG Hamm, Strafo 2003,<br />
99 <strong>und</strong> Strafo 2003, 177