Strafzumessung und Verteidigerstrategie - Ferner & Kollegen
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Verzögerungen, die in Folge der Aufhebung der<br />
erstinstanzlichen Urteile <strong>und</strong> Zurückverweisungen im<br />
Revisionsverfahren entstehen, stellen keinen Verstoß gegen<br />
das Beschleunigungsgebot dar, da ein solcher<br />
Verfahrensgang Ausfluss einer rechtsstaatlichen<br />
Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems ist.“<br />
Bei der <strong>Strafzumessung</strong> hätte jedoch berücksichtigt werden müssen,<br />
dass erhebliche psychische Störungen bei dem Beschwerdeführer<br />
eingetreten sind, die zu einer erheblichen Einschränkung der<br />
Lebensqualität geführt haben, er 17 Monate ohne Führerschein war<br />
<strong>und</strong> gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde.<br />
Das Verfassungsgericht betont außerdem nochmals ausdrücklich,<br />
dass die erhebliche Gesamtdauer des Verfahrens eine besondere<br />
Bedeutung zuzumessen ist <strong>und</strong> angesichts der Geringfügigkeit des<br />
Tatvorwurfs das öffentliche Interesse an einer Bestrafung<br />
abgeschwächt ist. Bei einer Gesamtwürdigung liegt die Verletzung<br />
des Beschleunigungsverbots unter Berücksichtigung der belastenden<br />
Folgen des Verfahrens so schwer, dass ein anerkennenswertes<br />
Interesse an der Bestrafung nicht mehr besteht <strong>und</strong> die dem<br />
Beschwerdeführer anzulastende Schuld bereits weitgehend<br />
ausgeglichen ist. Das Gericht weis darauf hin, dass angesichts des<br />
gesamten Strafvorwurfes eine Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO<br />
oder ein Absehen von Strafe eine angemessenen Reaktion ist.<br />
Hinweis: Für die Revision ist es wichtig, dass die nach Meinung der<br />
Verteidigung verzögernd behandelte Zeitpunkt detailliert angegeben<br />
werden <strong>und</strong> darauf hin gearbeitet wird, dass eine konkrete messbare<br />
Berücksichtigung bei der Strafe erfolgt. Aus der Entscheidung des<br />
Verfassungsgerichts lässt sich zudem ersehen, dass die<br />
Verzögerung im Verhältnis zur Straftat gesehen werden muss.<br />
Die Verletzung überlanger Verfahrensdauer wird nach Ansicht<br />
zahlreicher Gerichte mit der Rüge der Verletzung des formellen<br />
Rechts geltend gemacht. Dies hat zur Folge, dass sämtliche Zeiten<br />
der Verzögerung ausführlich dargestellt werden müssen, wenn die<br />
Rüge zulässig <strong>und</strong> erfolgreich sein soll. Eine Ausnahme soll allein für<br />
die Zeiten gelten, die zu einer Verzögerung nach dem Urteil der<br />
letzten Tatsacheninstanz geführt haben, etwa wenn die<br />
Staatsanwaltschaft die Akten 11 Monate lang nicht dem<br />
Revisionsgericht vorlegt.<br />
Diese Auffassung ist zwar unrichtig – denn die Rüge der Verletzung<br />
des Beschleunigungsgebotes aus Artikel 6 MRK zielt auf die<br />
Verletzung des materiellen Rechts <strong>und</strong> nicht auf die Verletzung von<br />
Formvorschriften. Die Verletzung des materiellen Rechts ist aber auf<br />
die allgemeine Sachrüge hin umfassend zu überprüfen. Aber der<br />
sorgfältige Anwalt wird natürlich die Verletzung des formellen Rechts<br />
rügen <strong>und</strong> die Rüge umfassend ausführen, um die Rechte des<br />
Mandaten zu sichern.