FOTOS (S. 80–83): RAINER VIERTLBÖCK 1 104
CABRIO AUS LÄRCHENHOLZ HAUS KLIMCZYK IN RIEDEN Fakten Standort Gebäudetyp Bauherr Architekt Fertigstellung Osterreinen, Rieden am Forggensee, D Einfamilienhaus (Doppelhaushälfte) Familie Klimczyk, Rieden, D Becker Architekten, Kempten, D Februar 2006 Rieden am Forggensee liegt in einer jener Gegenden in Deutschland, die im Ausland als Inbegriff für das ‚Pitto reske‘ in der deutschen Landschaft gelten und deshalb schon früh vom internationalen Tourismus entdeckt wurden. Burgruinen und Badeseen (allein sieben im Umkreis von 12 Kilometern), „lauschige Winkel und malerische Ecken“ führt die Website des Orts als Argumente an, hier seine Ferien zu ver bringen. Am gegenüberliegenden Seeufer, in Sichtweite von Rieden, erhebt sich Neu schwanstein, das Märchenschloss des exzentrischen Bayernkönigs Ludwig II. über den dichten Nadelwald. So attraktiv jedoch die landschaft liche Schönheit Oberbayerns auf den Touristen wirkt, so hindernisreich gestaltet sich oft der Versuch, hier zeitgemäße Neubauten zu errichten. Die Architektur-Avantgarde hat es – anders als etwa in der Schweiz oder in Österreich – noch immer schwer, in der Region Fuß zu fassen. Als ungeschriebene Norm gilt der Bautypus, der im Laufe des 20. Jahrhunderts eher unreflektiert als der ‚alpenländische‘ akzeptiert wurde: flach gedeckte, meist weiß verputzte Häuser mit weit auskragenden Dächern und ebenso ausladenden Holzbalkonen. Auch der Riedener Ortsteil Osterreinen folgt mit seinen meist aus den 70er-Jahren stammenden Häusern dieser Vorgabe. Lediglich vereinzelt findet man noch die so genannten ‚Schwangauer Häuser‘, die die Gegend früher prägten – Holz ständerbauten mit traufseitiger, meist nach Süden orientierter, offener Laube. Ein solches, regionaltypisches Bauernhaus nahmen sich Becker Architekten zum Vorbild für den Entwurf des Hauses Klimczyk. Es handelt sich um eine Doppelhaushälfte in der Dorfmitte, deren Pendant von den Nachbarn zu einem späteren Zeitpunkt mit einem anderen Architekten realisiert werden sollte. Fest stand indessen bereits, dass der Nachbar ein Massivhaus wünschte, und so konzipierten die Architekten Haus Klimczyk als hölzernen ‚Anbau‘, der sich wie der Stalloder Wirtschaftsteil eines Hofes an seinen steinernen Widerpart anschließen sollte. Um dieses Konzept zu unterstreichen, erhielt das Haus eine Lärchenholzverschalung mit integrierten Schiebe-Faltläden, die im Laufe der Jahre silbergrau verwittern wird. Durch die Läden lassen sich die Loggien an der Nord- und Südseite nahezu komplett öffnen. In geschlossenem Zustand verschmelzen Fensterläden und Fassade dagegen zu einer einzigen, homogenen Hülle, die in der Tat etwas ‚Scheunenhaftes‘ ausstrahlt. In der Nutzung erhält das Haus so eine enorme Flexibilität: Wie ein Cabriolet lässt es sich an alle denkbaren Licht- und Wettersituationen anpassen. Das Leben im Inneren des Hauses spielt sich auf allen vier Etagen ab, wobei das Untergeschoss separat als Einliegerwohnung nutzbar ist. Sie ist winkelförmig um einen Innenhof angelegt und wird separat von außen erschlossen. Die Innenräume gruppieren sich um einen von oben belichteten Treppenhauskern, der der Doppelhaushälfte eine überraschende Großzügigkeit verleiht. Das Licht fällt durch Dachwohnfenster ein, unter denen neun so genannte ‚Lichtkanonen‘ – Lichtschächte aus weiß lackierten MDF-Platten – für eine blendfreie, gleichmäßige Lichtverteilung sorgen. Auch die übrigen Oberflächen im Haus wurden weiß gehalten und sorgen so für eine bestmögliche Lichtausbeute: In den Wohnräumen wurde weiß geöltes Parkett verlegt; die Wände bestehen aus weiß gestrichenen Gipskartonplatten sowie (im Treppenhaus) weiß lackierten Hartgipsplatten. D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05 105