DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl
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VERÄNDERTE<br />
WELTSICHTEN<br />
Gegenüber:<br />
David Maisel: Terminal Mirage<br />
980-1, 2003<br />
Seit 2003 fotografiert David<br />
Maisel die Landschaft des Großen<br />
Salzsees im US-Bundesstaat Utah.<br />
Kaum etwas lässt dabei den genauen<br />
Maßstab, den Ort oder die Zweckbestimmung<br />
des aufgenommenen<br />
Objekts erahnen. Vielmehr sind die<br />
Bilder Chiffren für den ständig wachsenden<br />
Einfluss des Menschen auf<br />
seine natürliche Umwelt.<br />
Galileo Galilei reichte eine kleine Apparatur,<br />
um das Weltbild der Menschheit zu<br />
verändern. Im Jahr 1609 richtete der italienische<br />
Mathematiker und Astronom eines<br />
seiner ersten selbstgebauten ‚Perspektivgläser’<br />
(heute würden wir ‚Teleskop’ dazu<br />
sagen) auf den Mond und erkannte, dass der<br />
Begleitstern der Erde keinesfalls die glatte,<br />
makellose Kugel war, die Aristoteles fast<br />
zwei Jahrtausende zuvor in seinen Theorien<br />
beschrieben hatte. In seiner Schrift ‚Über den<br />
Himmel‘ hatte der griechische Philosoph ein<br />
Weltbild entworfen, das bis ins 16. Jahrhundert<br />
Gültigkeit behalten sollte: Die Erde als<br />
unbewegliches Zentrum des Universums war<br />
demzufolge von konzentrischen Schichten<br />
umgeben – zunächst von den vier Elementen<br />
(Erde, Wasser, Luft und Feuer), dann von den<br />
Bahnen der sieben kugelförmigen Planeten<br />
Mond, Venus, Merkur, Sonne, Mars, Jupiter<br />
und Saturn. Jenseits des Mondes bestand<br />
das Universum aus einer ätherischen, unzerstörbaren<br />
‚Quintessenz’ (wörtlich: dem<br />
‚fünften Element‘), die sich nur in perfekten<br />
Kreisen bewegen konnte. Da alle Himmelskörper<br />
aus dieser Quintessenz bestünden,<br />
müssten sie naturgemäß eine perfekte und<br />
makellose Kugelform besitzen. 1<br />
Die Erkenntnisse Galileis stürzten nicht<br />
nur die katholische Kirche in ihre bis dato<br />
größte Krise, sondern markierten auch<br />
den Übergang von der transzendentalen,<br />
mystischen Auffassung des Lichts im Mittelalter<br />
zum wissenschaftlichen Lichtbegriff<br />
des modernen Zeitalters. Von der Inquisition<br />
verfolgt, musste Galilei seinen ketzerischen<br />
Lehren im Jahr 1633 abschwören.<br />
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass seine<br />
Schriften mehr als zwei Jahrhunderte auf<br />
dem Index verbotener Bücher des Vatikans<br />
standen und Galilei erst 1992 von Papst<br />
Johannes Paul II. offiziell rehabilitiert wurde.<br />
Hier zeigt sich die Bedeutung, die die Kirche<br />
der Interpretation des Lichts beimaß: Wenn<br />
das Licht nicht mehr göttlichen Ursprungs,<br />
sondern vielmehr eine profane Naturerscheinung<br />
und der Himmel nicht länger<br />
eine von der Erde losgelöste Sphäre wäre,<br />
wo sollte sich dann das Reich Gottes befinden?<br />
Abgesehen von der offensichtlichen<br />
Befürchtung, seine Deutungshoheit über<br />
Himmel und Erde einzubüßen, offenbarte<br />
sich in der Reaktion des Klerus auch ein allgemeines<br />
Problem menschlicher Wahrnehmung:<br />
Das Sehen allein reicht zum Erkennen<br />
nicht aus. Erkennen bedeutet, ein visuelles<br />
Bild mit einer dinglichen Vorstellung zu vergleichen,<br />
die im menschlichen Gehirn angelegt<br />
ist. Diese Erkenntnis ist keinesfalls neu.<br />
Schon die Philosophie von Aristoteles‘ Lehrer<br />
Plato gründete auf dieser Dualität von<br />
Phänomenen (die durch unsere Sinne wahrnehmbar<br />
sind) und Vorstellungen oder Ideen<br />
(denen allein durch den menschlichen Verstand<br />
Gestalt verliehen wird). Nach der<br />
Lehre Platos gehen die allgemeinen Ideen<br />
den Dingen voraus und sind von diesen unabhängig.<br />
Wo allgemeine Ideen fehlen, ist auch<br />
kein Verstehen bislang unbekannter Phänomene<br />
möglich, wie die Reaktionen zahlreicher<br />
Zeitgenossen Galileos beweisen:<br />
Sie schenkten weder seinen Erkenntnissen,<br />
geschweige denn seinen Schlussfolgerungen<br />
Glauben, nicht nur, weil sie diese<br />
als möglicherweise gefährlich betrachteten,<br />
sondern weil ihnen die Fähigkeit fehlte,<br />
diese Erkenntnisse mit ihrer Weltsicht zu<br />
vereinbaren. Die moderne Forschung belegt,<br />
dass sowohl Vorstellungskraft als auch tatsächliche<br />
Phänomene für die menschliche<br />
Wahrnehmung unabdingbar sind. So haben<br />
von Geburt an blinde Menschen, die nach<br />
jahrelangem Leben in Dunkelheit durch eine<br />
Operation Sehkraft erlangen, oft Schwierigkeiten,<br />
diesen neu gewonnenen Sinn zu<br />
nutzen. Sie erkennen zwar Bilder, Formen<br />
und Farben, können deren ‚Bedeutung’ aber<br />
kaum interpretieren, bevor sie diese nicht<br />
durch andere Sinne (hauptsächlich durch<br />
den Tastsinn) verifiziert haben.<br />
1<br />
s. Arthur Zajonc: Catching the Light. Oxford<br />
University Press 1993, S. 73–76.<br />
D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05<br />
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