1. Alberto Campo Baeza: Casa Gaspar in Cadiz (1992) Glatte Flächen, perfekte Symmetrie und perfektes Weiß bilden in Campo Baezas Wohnhaus den Rahmen für eine aufs Äußerste reduzierte Essenz der Natur ringsum. „Das Licht in diesem Haus ist horizontal und kontinuierlich, was sich in der Ost- West-Ausrichtung der Hofeinfassung widerspiegelt. Das horizontale Licht spannt hier ganz einfach einen horizontalen, kontinuierlichen Raum auf.“ Alberto Campo Baeza Für das Rathaus von Säynätsalo gab Alvar Aalto die Anweisung, alle Ziegel in leichtem Winkel zu versetzen, was dem Mauerwerk im sanften Sommerlicht eine strukturierte Oberfläche und außergewöhnliche Wirkung verleiht. Später, beim Rathaus von Seinäjoki, sind die Flächen noch deutlicher auf das nördliche Licht abgestimmt. Der hohe, keilförmige Bau ist mit dunkelblau glasierten Fliesen verkleidet. Aufgrund der Gebäudeform, im Querschnitt ein gestauchter Halbkreis, wurden die Fliesen vertikal in einer Art Streifenmuster verlegt, das die tief stehende Sonne einfängt und durch seinen reflektierenden Charakter an Cordstoff erinnert. Wenn das Sonnenlicht schräg auf seine Oberflächen trifft, schimmert das solide und imposante Gebäude ganz in Preußischblau, während bei direkter Sonneneinstrahlung die schmalen, hellen Rauputzstreifen zwischen den Fliesen dominieren und die blaue Farbe verwaschen. Bei den oft bestaunten ‚experimentellen Wänden’ seines Sommerhauses in Muuratsalo ließ Aalto seinen persönlichen Ideen freien Lauf, indem er verschiedene Ziegel, glatte und glasierte Fliesen und unterschiedliche Fugentechniken miteinander kombinierte und so Flächen schuf, deren Aussehen sich mit dem Lauf der Sonne ständig verändert. Man kann das Ganze schlicht als eine abstrakte Komposition von Struktur und Farbe betrachten, aber gleichzeitig wird ein intensiver Ortsbezug heraufbeschworen – allerdings nicht zu Finnland, sondern zum verwitterten Flickwerk der Mauern in Aaltos geliebtem Italien. Warum sonst braucht das Rechteck azurblauer Fliesen einen exponierten Sturz, wenn nicht dazu, den Eindruck eines Fensters unter südlichem Himmel zu vermitteln? licht und genius loci: carlo scarpas innenräume Carlo Scarpa orientiert seine Bauwerke an den Bautraditionen Venedigs, wo – um John Ruskin zu zitieren – „die Verblendung von Ziegeln mit wertvolleren Materialien“ einerseits auf die weite Entfernung der Stadt zu Steinbrüchen zurückzuführen ist und andererseits als Stilmittel eingesetzt wird, um eine durchdringende und überall spürbare Lichtüberflutung zu evozieren: Die mit einem Rautenmuster verkleideten Mauern des Dogenpalastes wirken im Tageslicht wie gespannter Stoff, die vielfarbigen Cosmati-Böden sehen aus wie eine Versteinerung gebrochener Wasserreflexionen, und die von Scarpa besonders geliebten, typisch venezianischen Terrazzo-Böden (pavimenti alla veneziana) scheinen von einem dünnen Regenfilm überzogen zu sein. In dem Geschäft, das er für Olivetti an der Piazza San Marco entwarf, kombinierte Scarpa Terrazzo- und Mosaikböden, indem er kleine unregelmäßige Viereckmosaike aus reflektierenden Glassteinchen in parallelen Bahnen in ein Bett aus hellem Zementmörtel einarbeitete. Die Bahnen wirken in einer Richtung wie ein markanter ‚Kettfaden’, während die Mosaiksteine wegen ihrer Unregelmäßigkeit und großen Abstände eine Art ‚Schussfaden’ bilden, der auf subtile Weise an eine gekräuselte Wasseroberfläche erinnert. Für die Decken in der Galerie der Fondazione Querini Stampalia erweckte Scarpa eine andere lokale Tradition zum Leben – den stucco alla veneziana. Bei der als marmorino bekannten Variante wird Marmorstaub in den Deckanstrich gemischt und vermittelt den Eindruck steinähnlicher Härte, der durch einen mittels Heißbearbeitung erzeugten reflektierenden Schimmer noch verstärkt wird. Im Ergebnis hat diese Technik nicht nur praktische Vorzüge, da sie große Mengen an Wasser aus der feuchten Luft aufnehmen kann, sie ist auch äußerst lichtwirksam. Das Bestreben, Materialien den gegebenen Ortsverhält nissen anzupassen, lässt sich auch in den späten Kirchen von Sigurd Lewerentz erkennen, wo das Mauerwerk in einer Mörtelschicht zu fließen scheint und unterschwellig an die unregelmäßige Musterung von Birkenrinde erinnert. In Klippan wird das trockene und raue Ziegelwerk kontrastiert durch ungerahmte Doppelverglasungen, die nicht in, sondern vielmehr vor den Fensteröffnungen liegen. Der grünliche Glanz des Glases verschmilzt mit Reflexionen von Gras, Bäumen und Himmel und verwandelt die elementaren Fenster in ‚Teiche’ flüssigen Lichts. Beim Bau der Oper in Sydney lässt sich Ähnliches erkennen – allerdings in gänzlich anderen Dimensionen. Die rekonstruierte Verkleidung der großen Plattform aus rotem Sandstein, der hier überall zu finden ist, bildet einen sichtbaren Kontrast zu den reflektierenden Fliesenflächen der Schalen. Jørn Utzon ließ sich sowohl von der Architektur als auch von der Natur inspirieren; etwa von den gefliesten Kuppeln, die wie ätherisch über den Ziegelbauten orientalischer Städte zu schweben scheinen, oder schneebedeckten Bergen, auf denen frisch gefallener Schnee vom Wind verweht wird und die gefrorene Schicht darunter offenlegt. Utzon verwandte drei Jahre auf den Entwurf dieser Verkleidung. Das Ergebnis ist eine Kombination glatter und glasierter Fliesen, wobei Erstere sich der konischen Geometrie der darunter liegenden Rippen anpas- 10 D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05
2 3 4 5 6 7 8 9 10 FOTOS: 2/3 – PAUL WARCHOL PHOTOGRAPHY. 4 – MARTTI KAPANEN, ALVAR AALTO MUSEUM. 5/6 – RICHARD WESTON. 7/8 – GASTON WICKY. 9 – HISAO SUZUKI. 10 – STEVEN HOLL ARCHITECTS. 11