DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl
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zum Beispiel zu Olafur Eliasson, dessen<br />
‚The Inner Kaleidoscope‘ in Zürich<br />
gezeigt wurde. Ebenso vielfältig wie<br />
die Kunstgattungen sind die Medien,<br />
derer sich die Künstler bedienen: Gemälde<br />
von Salvador Dalí und Josef Albers,<br />
im Meskalinrausch entstandene<br />
Federzeichnungen von Henri Michaux,<br />
kinetische Skulpturen von Jean Tinguely,<br />
Drahtreliefs von Jesús Rafael<br />
Soto, Hologramme von Bruce Nauman,<br />
Lichtkunst von James Turrell<br />
und ‚The Exploding Plastic Inevitable‘,<br />
ein berauschendes Gesamtkunstwerk<br />
aus Lichtprojektionen und der<br />
Musik von Velvet Underground, mit<br />
dem Andy Warhol die Clubkultur der<br />
späteren 60er- und der 70er-Jahre<br />
prägte. Erstaunlicherweise sind<br />
die Nachfolger der damaligen Undergroundinszenierungen,<br />
die Musikvideos<br />
heutiger Tage, im Buch<br />
überhaupt nicht vertreten. Gezeigt<br />
werden statt dessen ausschließlich<br />
Erzeugnisse der ‚hochkulturellen‘<br />
Kunstproduktion. Die Grenzen zwischen<br />
Kunst und Kommerz scheinen,<br />
selbst Jahrzehnte nachdem Warhol<br />
ihre Auflösung predigte, zumindest<br />
im musealen Bereich noch so unpassierbar<br />
wie immer schon.<br />
Wer mehr über die Wechselbeziehung<br />
zwischen Op-Art und Populärkultur<br />
erfahren möchte, wird auch im<br />
Textteil des Buchs kaum fündig werden.<br />
Lesenswert sind die sechs einleitenden<br />
Essays dennoch, allen voran<br />
‚Kritik des Auges – Auge der Kritik‘ von<br />
Diedrich Diederichsen, in dem der Berliner<br />
Kulturwissenschaftler erläutert,<br />
warum das Auge ausgerechnet in den<br />
60er-Jahren so nachhaltig ‚außer<br />
Rand und Band geriet‘ und warum<br />
die Op-Art lediglich für kurze Zeit ‚en<br />
vogue‘ war: Ihre Nähe zum Dekorativen<br />
und ihr Mangel an Inhalten jenseits<br />
des bloß Sichtbaren ließen sie<br />
auf Dauer repetitiv und ermüdend<br />
wirken.<br />
Ergänzt werden die sechs Aufsätze<br />
und zahlreichen Abbildungen<br />
in ‚The Expanded Eye‘ durch eine Anthologie<br />
aus Textbeispielen und lexikalischen<br />
Stichworten aus Kunst,<br />
Kulturtheorie, Psychologie und Physiologie.<br />
Die Auswahl reicht von Rudolf<br />
Arnheims ‚Kunst und Sehen‘ über<br />
Josef Albers‘ ‚Interaction of Color‘<br />
bis zu Susan Sontags ‚Über Fotografie‘<br />
[On Photography], streift also nahezu<br />
alle Aspekte des menschlichen<br />
Sehens. Wem dieser Blickwinkel noch<br />
zu eng erscheint, dem sei der Beitrag<br />
des Biologen Rüdiger Wehner empfohlen.<br />
Dieser hat sich mehr als 30<br />
Jahre lang mit Cataglyphis beschäftigt,<br />
einer Ameisenart aus der Sahara.<br />
Sie kann zwar keine Farben auseinanderhalten,<br />
findet jedoch dank ihrer Fähigkeit,<br />
die Polarisationsmuster des<br />
Sonnenlichts zu erkennen, in der eintönigen<br />
Wüstenlandschaft über Hunderte<br />
von Metern immer wieder in<br />
ihren Bau zurück. Die Natur hält, wie<br />
es scheint, auch für das ‚entgrenzte<br />
Sehen‘ das beste Paradigma bereit.<br />
INVISIBLE<br />
<strong>ARCHITECTURE</strong><br />
Experiencing Places through the<br />
Sense of Smell<br />
Autoren: Anna Barbara,<br />
Anthony Perliss<br />
Skira Editore 2006<br />
ISBN 88–7624–267–8<br />
Als Grenouille, der tragische Held in<br />
Patrick Süskinds Roman ‚Das Parfum‘,<br />
erstmals die Straßen von Paris betritt,<br />
sind es weniger die eindrucksvollen<br />
Bauten, die Farben und das Stimmengewirr<br />
der Stadt, die ihre Faszination<br />
auf ihn ausüben, sondern die tausend<br />
Düfte und ebenso vielen Nuancen<br />
abscheulichen Gestanks, die die Luft<br />
der französischen Metropole erfüllen.<br />
Wie kaum einem Schriftsteller zuvor<br />
gelingt es Süskind in seinem Roman,<br />
seine Leser in die Welt der Gerüche zu<br />
entführen. Doch obwohl ‚Das Parfum‘<br />
hunderttausendfach verkauft und<br />
jüngst auch verfilmt wurde, fristet<br />
sein Thema, die olfaktorische Wahrnehmung<br />
von Orten, Menschen und<br />
Gegenständen, in der Gegenwartsliteratur<br />
eher ein Mauerblümchendasein.<br />
Nun haben Anna Barbara und Anthony<br />
Perliss das Sujet wieder aufgenommen.<br />
In ‚Invisible Architecture‘<br />
unternehmen sie den Versuch, die<br />
Geschichte der menschlichen Kultur<br />
und mit ihr der Architektur aus<br />
dem Blickwinkel des Geruchssinns,<br />
der Düfte und des Gestanks neu zu<br />
schreiben. Glaubt man ihren Ausführungen,<br />
so waren (und sind) Gerüche<br />
von wahrhaft evolutionärer Bedeutung.<br />
Schon die Entwicklung des Urmenschen<br />
vom Vier- zum Zweibeiner<br />
entfernte die menschliche Nase, rein<br />
räumlich, vom Erdboden und den Gerüchen,<br />
die er verströmte. Auch die<br />
spätere Menschheits- und Technikgeschichte<br />
kann, so vermittelt es das<br />
Buch, als sukzessive Ausrottung der<br />
meisten Gerüche interpretiert werden,<br />
die uns einst umgaben. Noch<br />
nicht einmal die meisten Baumaterialien,<br />
die wir heute verwenden, verströmen<br />
– im Gegensatz etwa zu Holz,<br />
Stroh und Lehm – noch nennenswerte<br />
Gerüche. Statt dessen wird der ‚domestizierte<br />
Duft‘ in allen Bereichen des<br />
zwischenmenschlichen Zusammenlebens<br />
ganz gezielt eingesetzt – vom<br />
Parfüm bei der Partnersuche bis zum<br />
‚government standard bathroom malodor‘,<br />
einem vom US-Verteidigungsministerium<br />
entwickelten Kampfstoff,<br />
dessen Gestank beim Feind sofortige<br />
Fluchtreflexe auslösen soll.<br />
Auf die chronologische Aufarbeitung<br />
des Themas verzichteten<br />
Barbara und Perliss; statt dessen<br />
gliederten sie ihr Buch in sieben Kapitel<br />
wie ‚Emotionen und Riten‘, ‚Identität<br />
und Gedächtnis‘oder ‚Körper<br />
und Entfernungen‘. Daneben baten<br />
sie je fünf Parfümeure und fünf Architekten<br />
zum Gespräch an Orte, die<br />
ungewöhnlich eng mit Düften verbunden<br />
sind – zum Beispiel in die Katakomben<br />
und in die ‚Atéliers Hermès‘ in<br />
Paris, in den Meatpacking District von<br />
New York, in eine holländische Windmühle<br />
oder in den Giardino dei Semplici<br />
in Florenz.<br />
Dass ausgerechnet das Kapitel<br />
‚Tod und Entropie‘ ganz am Anfang<br />
von ‚Invisible Architecture‘ steht,<br />
macht den Einstieg ins Buch etwas<br />
unappetitlich; allein sollte die Erwähnung<br />
von Kloaken und Menschenopfern,<br />
chemischer Kriegsführung und<br />
verrottenden Nahrungsmitteln niemandem<br />
das Weiterlesen verleiden.<br />
‚Invisible Architecture‘ ist eine Achterbahnfahrt<br />
durch fünf Jahrtausende<br />
Geruchsgeschichte; die Erzählreihenfolge<br />
wirkt mitunter verworren,<br />
doch hinter jeder Kurve lauern neue<br />
Erkenntnisse über ein Thema, das<br />
in der bisherigen Geschichtsschreibung<br />
eindeutig unterrepräsentiert<br />
ist. Selbst die knifflige Aufgabe, ihr<br />
Buch über Gerüche zu illustrieren,<br />
haben die Autoren ansprechend gelöst.<br />
Sie verwendeten ganzseitige<br />
Fotografien von Wohnräumen, Kultstätten<br />
und Stadtplätzen, Orten und<br />
Un-Orten aus aller Welt, die von feinen,<br />
nachträglich retuschierten ‚Geruchsschwaden‘<br />
durchzogen sind.<br />
Dass ein solches Verfahren leicht<br />
ins Kitschige abgleiten kann, dürfte<br />
einleuchten, doch in ‚Invisible Architecture‘<br />
wurde es mit der gebotenen<br />
Subtilität gehandhabt und macht das<br />
Buch damit zu einem durchaus gelungenen<br />
Gesamtkunstwerk.<br />
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