DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl
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FOTOS: 12/13 – RICHARD WESTON<br />
sen und Letztere, diagonal verlegt, eine viereckige Füllung bilden,<br />
in die klein gemahlene Stückchen gebrannten Tons eingestreut<br />
sind und die Oberfläche aufrauen. Perfekt auf den Kugelflächen<br />
der Schalen arrangiert, erzielen die Fliesen einen wunderbaren<br />
kumulativen Effekt, greifen auf nahezu unheimliche Weise die<br />
Farben des Himmels und das Zusammenspiel von Schatten und<br />
reflektiertem Licht zwischen den Schalen auf.<br />
autonomie des materials: architektur seit den 80er-jahren<br />
Trotz aller Aufmerksamkeit, die Aalto, Lewerentz und Utzon den<br />
Qualitäten von Material und Licht widmeten, standen diese traditionell<br />
zweitrangigen architektonischen Elemente in ihren Werken<br />
im Dienst einer größeren Idee; in der Architektur von Scarpa wurde<br />
diese ‚Idee’ häufig durch den Rahmen eines bestehenden Gebäudes<br />
bestimmt. Für eine Generation von Architekten, die sich in den<br />
80er-Jahren bildete, wurde jedoch die Ausdrucksstärke der Materialien<br />
zur zentralen Idee. Als Schlüsselinspiration diente die Kunst<br />
des Minimalismus, vor allem die Werke von Donald Judd. Indem<br />
er die Trennung von Materialoberfläche und formaler Struktur<br />
aufhob, wollte Judd eine ästhetische Wirkung seiner Arbeiten erzeugen,<br />
die direkt aus visuellen ‚Fakten’ entsteht, die vom Betrachter<br />
unmittelbar wahrgenommen werden.<br />
Durch die Reduktion von Gebäuden auf einfache oder tradierte<br />
Formen und durch ihre Verkleidung mit nur einem einzigen<br />
Material konnte sich das architektonische Interesse nahezu<br />
ausschließlich auf die Eigenschaften von Flächen und das Spiel<br />
des Lichts konzentrieren. Mit vertikalen oder horizontalen Holzlatten<br />
verkleidete Konstruktionen – wie Peter Zumthors Einfriedung<br />
römischer Funde in Chur oder der Anbau von Burkhalter<br />
und Sumi an das Zürichberg-Hotel – können am Tag verschlossen<br />
wirken, bei Nacht aber mysteriös schimmern. Auf ähnliche<br />
Weise erweisen sich in Herzog & de Meurons Weinkellerei im<br />
Napa Valley massive und scheinbar undurchsichtige Korbwände<br />
völlig unerwartet als lichtdurchlässig.<br />
Mit der Verlagerung des Interesses von undurchsichtigen und<br />
matten zu reflektierenden, transparenten oder lichtdurchlässigen<br />
Materialien ergaben sich auch neue Ausdrucksformen. Durch die<br />
Verwendung von Strukturglasscheiben als Wetterhaut an ihrem<br />
Anbau an die Kunstgalerie in Winterthur schufen Gigon/Guyer<br />
eine stark geriefelte Hülle aus feinen Schichten, die durch Umge-<br />
bungs- und Lichtreflexionen das Licht eher auszuströmen denn zu<br />
absorbieren scheint. Ähnliche, wenngleich weniger frappieren de<br />
Effekte werden im Liner Museum in Appenzell erzielt, wo sowohl<br />
die Wände als auch das Sheddach mit viereckigen Edelstahlplatten<br />
verkleidet sind. Für das Kunstmuseum in Bregenz kreierte<br />
Peter Zumthor eine vorgehängte Außenfassade aus stockwerkhohen,<br />
satinierten Glasscheiben, hinter denen schemenhaft der<br />
Aufbau der Geschossebenen erkennbar ist. Die Fassaden reagieren<br />
subtil auf Lichtveränderungen, vor allem nachts, wenn sie von<br />
innen beleuchtet werden.<br />
In Anlehnung an diese Schweizer Modelle platzierte Steven<br />
Holl am Bloch Building im Nelson-Atkins Museum of Art in<br />
Kansas City fünf rechtwinklige Glaskonstruktionen in der Landschaft,<br />
die als Dachoberlichter für ein weitestgehend unterirdisches<br />
Gebäude dienen. Durch die Nutzung von eisenfreiem Glas wurde<br />
die in Winterthur so offensichtlich hervortretende grüne Farbe<br />
eliminiert, und dies mit erstaunlichem Ergebnis: Während das<br />
Gebäude von Gigon/Guyer optisch mit seiner Umgebung interagiert,<br />
steht Holls Bauwerk in kristallinem Kontrast zur Landschaft.<br />
Diese kristalline Qualität von Holls ‚Linsen’, wie er sie nennt, wird<br />
noch dadurch verstärkt, dass die Glasscheiben offensichtlicher<br />
Teil einer konstruierten Ordnung sind. Nachdem fast zwei Jahrzehnte<br />
lang verführerische Vorhangfassaden aus nahezu jedem<br />
erdenklichen Material angefertigt wurden, angefangen von den<br />
extremen Formen der ‚Schweizer Boxen’ bis hin zu Frank Gehrys<br />
barocken Draperien, könnten sich nun ‚handfeste’ Konstruktionen<br />
wied er gegen leichtes Design behaupten. Wenn ich an das<br />
Vergnügen denke, zwischen Tadao Andos Betonwänden im exquisiten<br />
Koshino-Haus oder unter den weiß getünchten Betongewölben<br />
in Jørn Utzons Kirche in Bagsværd zu stehen, kann ich mich<br />
nicht des Eindrucks erwehren, dass derart harte Formen in gewisser<br />
Weise anmutiger sind: Beide Bauwerke zeichnen sich durch ihre<br />
Strukturierung und die offengelegten Details wie Schraubenlöcher<br />
und Bretter aus, und beide erscheinen in bestimmten Lichtsituationen<br />
wie verwandelt. Nirgendwo vielleicht kann man die Transformationskraft<br />
des Lichts deutlicher spüren als auf der Veranda<br />
von Louis Kahns Kimbell Art Museum, wenn die sichelförmigen<br />
Lichtflecken über den Beton und die Travertinflächen wandern.<br />
Von Kahn stammt der berühmte Spruch: „Die Sonne wusste nie,<br />
wie groß sie ist, bis ihr Licht auf die Seite eines Hauses fiel.“ In<br />
Kimbell versteht man, was er meint.<br />
12 D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05