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DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl

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EDWARD H. ADELSON<br />

Schatten komplizieren unsere Wahrnehmung, da unser Sichtfeld lernen muss,<br />

zwischen einer lichtbedingten Grenze (eines Schattens) und einer lichtunabhängigen<br />

Grenze (zwischen einem weißen und einem schwarzen Papier) zu<br />

unterscheiden. Wäre dies nicht möglich, würden wir Schatten als permanente<br />

Objekteigenschaften wahrnehmen. Seltener Gegenbeweis ergibt sich, wenn<br />

die Lichtgrenze mit einer lichtunabhängigen Grenzlinie übereinstimmt. In diesem<br />

Falle ist unser Wahrnehmungssystem gestört. Daher riet Leonardo anderen<br />

Malern davon ab, eine Linie um Schatten zu ziehen.<br />

Sie haben einen großen Teil Ihrer Forschung den<br />

Fehleinschätzungen und Täuschungen gewidmet,<br />

denen unsere Sinne unterliegen. Sind nach Ihrer Erfahrung<br />

einige Sinne leichter zu täuschen als andere?<br />

In Ihrem Buch ‚Die Entdeckung des Schattens’ berichten<br />

Sie von der Hypothese, dass Kinder eine<br />

angeborene Vorstellung davon haben, was ein Objekt<br />

ist, aber nicht davon, was ein Schatten oder<br />

eine Projektion sind. Was, so glauben Sie, sind die<br />

Gründe für diesen Unterschied?<br />

Der Mensch hat lange gebraucht, um die Eigenart<br />

von Schatten zu verstehen, und lange Zeit waren<br />

Schatten mit Mythen und Glaubensinhalten verbunden.<br />

Was bleibt heute noch von diesen Mythen?<br />

Die Erforschung von Wahrnehmungsillusionen (wie oben von Adelson demonstriert)<br />

ist wichtiger Bestandteil der Studien psychologischer Wahrnehmung.<br />

Eine Rangfolge der Sinne kann man meines Erachtens nicht festlegen. Zwar<br />

haben Philosophen lange Zeit die Meinung vertreten, dass der Tastsinn der sicherste<br />

Sinn sei, aber ebenso wie visuelle Illusionen gibt es auch solche taktiler<br />

Art. Neuerdings wird auch die Klassifizierung der Sinne in Zweifel gezogen. Für<br />

die exakte Definition eines ‚Sinnes‘ gibt es keine stabilen Kriterien. Wir wissen<br />

nicht, ob Fledermäuse ‚die Formen fühlen‘ oder ‚mit den Ohren sehen‘. Die Unterscheidung<br />

zwischen den Sinnen basiert auf unserem Menschenverstand, kann<br />

aber sicherlich keine wissenschaftlich fundierte Differenzierung sein.<br />

Heutige Erkenntnisse zum Objektbegriff verdanken wir vor allem der Psychologin<br />

Elizabeth Spelke in Harvard, die eine einfallsreiche Methodik entwickelte,<br />

um zu verstehen, wie Kinder die materielle Welt sehen und wahrnehmen<br />

(und altersbedingt nicht verbalisieren können). Mit bestimmten Situationen<br />

konfrontiert, zeigen sich Kinder überrascht, und diese Überraschung wird<br />

als Indiz dafür interpretiert, dass jedes Kind präzise Erwartungen hegt. Die<br />

Wahrnehmung von Schatten stellt einen interessanten Fall dar, da Schatten<br />

(zum Beispiel im Gegensatz zu Träumen) physische Wirklichkeit besitzen,<br />

nichtsdestotrotz aber immateriell sind (sie bestehen aus ‚nichts‘). Warum<br />

es trotz gewisser Wahrnehmungssensibilität keine angeborene Vorstellung<br />

eines Schattens gibt, liegt eventuell daran, dass die Menge angeborener Vorstellungen<br />

recht beschränkt ist und die Auffassung von Schatten in gewisser<br />

Weise von der Objektvorstellung abgeleitet wird. Tatsächlich behandeln Kleinkinder<br />

(unter zwölf Monaten) Schatten wie Objekte und können diese nicht<br />

als Projektionen oder lichttechnische Phänomene erkennen. Im Gegensatz zu<br />

Erwachsenen sind sie beispielsweise überrascht, dass sich ein Schatten bewegt,<br />

wenn das schattenwerfende Objekt verschoben wird.<br />

Die meisten Mythen sind fest in Bildern und Symbolen des allgemeinen menschlichen<br />

Denkens verankert. Daher wird ihnen, mögen sie auch vorübergehender<br />

Natur sein und von Kultur zu Kultur leicht abweichen, stets große Bedeutung<br />

beigemessen. Schatten sind häufig metaphorische Quelle für die Mythen in<br />

Bezug auf die Seele: Ähnlich der Seele ist der Schatten körperabhängig (wenngleich<br />

nicht absolut, denn schließlich können wir uns selbst nicht von unserem<br />

Schatten lösen), er ist immateriell und gleicht der Person, die ihn erzeugt, und<br />

so weiter und so fort. Solange dies unsere Fantasie anregt, wird es immer<br />

möglich sein, Mythen um die Schatten zu schaffen oder solche aus anderen<br />

Kulturen zu übernehmen.<br />

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