DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl
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07<br />
Aziz + Cucher<br />
Anthony Aziz und Sammy Cucher<br />
erstellen seit 1991 digitale Fotografien,<br />
Skulpturen, Videos und architektonische<br />
Installationen. Sie leben<br />
und arbeiten in New York City. Als<br />
Vorreiter der digitalen Bilddarstellung<br />
wurden die Werke von Aziz +<br />
Cucher weltweit in großen Museen<br />
ausgestellt. Beide sind Fakultätsmitglieder<br />
der Parsons School of Design<br />
in New York.<br />
www.azizcucher.net<br />
Mr. Aziz, Mr. Cucher, was hat Ihnen die Kultur, in<br />
der Sie aufgewachsen sind, über Haut vermittelt,<br />
und wie hat sich diese Vorstellung im Laufe der<br />
Jahre gewandelt?<br />
Ihre ‚Hautlandschaften‘ lassen sich als Reaktion auf<br />
zwei wichtige Phänomene moderner Design- und<br />
Technikentwicklung interpretieren: die Prothetik,<br />
also die Erweiterung oder der Ersatz menschlicher<br />
Körperteile durch technologische Mittel, und die Bionik,<br />
also die Nachbildung natürlicher Strukturen<br />
in künstlich hergestellten Objekten. Welche Hoffnungen<br />
und Befürchtungen verbinden Sie damit?<br />
Beim Betrachten Ihrer Serien ‚Chimera‘ und ‚Interiors‘<br />
habe ich mich gefragt: Wie würden sich diese<br />
Skulpturen und Gebilde, wären sie echt, anfühlen?<br />
Wären sie hart oder weich, trocken oder feucht,<br />
glatt oder rau, warm oder kalt?<br />
Wenn Sie einen architektonischen Raum entwerfen<br />
müssten, welche Aufgabe würde dann seinen<br />
Oberflächen zukommen?<br />
Nächste Doppelseite:<br />
Aziz + Cucher: Interior Study #3, 2000<br />
Aziz + Cucher: Interior #6, 2000<br />
Die ‚Interiors‘ der Künstler Anthony Aziz<br />
und Sammy Cucher oszillieren zwischen<br />
zwei Welten: der Architektur und dem<br />
menschlichen Körper.<br />
Mit unserem kulturellen Hintergrund und unserer Erziehung verbinden wir<br />
keine spezielle begriffliche Vorstellung von Haut. Erst nachdem wir persönlich<br />
und künstlerisch mit der AIDS-Krise konfrontiert wurden, hat die Haut<br />
nicht nur für unsere Arbeit, sondern auch für uns persönlich eine wichtige<br />
Bedeutung gewonnen, obgleich wir AIDS niemals zum direkten Gegenstand<br />
unserer Werke machten. AIDS hat uns nicht nur die Fragilität des menschlichen<br />
Körpers vor Augen geführt, sondern auch die von unserer Spezies entwickelten<br />
raffinierten Immunitäts- und Abwehrmechanismen. Natürlich ist<br />
Haut die wichtigste physische Barriere zwischen unserem Körperinneren und<br />
der Außenwelt. Den vielen mit dieser Dualität von Begrenzung und Abtrennung<br />
verbundenen Metaphern widmen wir uns seitdem mit zunehmendem Interesse,<br />
weniger im biologischen und immungenetischen Sinne als eher unter<br />
einem philosophischen Blickwinkel. So versuchen wir, die Grenzen des menschlichen<br />
Daseins und unseres Bewusstseins auszuloten.<br />
Die Kunst der Prothetik hat uns erstmals während unserer Arbeit an ‚ausradierten‘<br />
Porträts für unsere Serie ‚Dystopia‘ fasziniert. Diese Porträts veranlassten<br />
uns dazu, Objekte zu erfinden, die die Welt dieser ihrer Sinnesorgane<br />
beraubten und nach innen gekehrten Wesen bevölkern könnten. Die so entstandenen<br />
Skulpturen und Fotografien für die Serie ‚Plasmorphica‘ wirkten extrem<br />
kalt. Sie verkörperten unsere Befürchtung, dass moderne Technologien einen<br />
katastrophalen Verlust an Menschlichkeit bedeuten könnten.<br />
Diese negative Sichtweise haben wir in der Serie ‚Interiors‘ leicht abgeschwächt;<br />
hier verschmolz der menschliche Körper mit seiner architektonischen<br />
Umgebung in lyrischer und gleichzeitig unheimlich anmutender<br />
Metamorphose. Heute stehen wir der Technik neutraler gegenüber, da wir ihr<br />
enormes Potenzial (je nach ihrer Nutzung zum Guten oder Schlechten) erkannt<br />
haben. Unsere jüngeren Arbeiten seit der Serie ‚Synaptic Bliss‘ lassen sich als<br />
Hommage an eine technische Art des Sehens interpretieren, die uns tiefere<br />
und vielfältigere Wahrnehmungsmöglichkeiten offenbart.<br />
Ihre Fragen zielen genau auf die Art imaginativer Reaktion ab, die wir bei den<br />
Menschen beim Betrachten dieser Werke evozieren möchten. Natürlich sind<br />
wir keine Wissenschaftler und daher kaum daran interessiert, irgendeine unserer<br />
Kreaturen ‚zum Leben zu erwecken‘. Uns genügt es vollkommen, uns im<br />
Reich von Sinnbildern und Spekulationen zu bewegen. Müssten wir ihnen aber<br />
spezifische Eigenschaften zuweisen, würden sich unsere Hautgebilde vermutlich<br />
weich, warm und vielleicht ein wenig feucht anfühlen.<br />
Die Haut zeichnet sich durch starke metaphorische Bedeutung und zahlreiche<br />
Funktionen aus – wäre es da nicht reizvoll, Gebäude zu entwerfen, deren ‚Hülle‘<br />
nicht nur Gefäß ist, sondern zugleich Sensor und Übermittler lebenswichtiger<br />
Informationen? Porosität und Elastizität sind zwei Eigenschaften, mit denen<br />
sich in der Architektur sicherlich interessant experimentieren ließe.<br />
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