DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl
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TERRA INCOGNITA:<br />
DER UNBEKANNTE PLANET<br />
Gegenüber:<br />
Vulkan Sakura-Jima, Kyushu,<br />
Japan<br />
An den Plattenrändern und<br />
Rissen der Erdkruste treten<br />
die gewaltigen Energiemengen<br />
zutage, die im Inneren unseres<br />
Planeten schlummern. Die Satelliten-Radaraufnahme<br />
zeigt den<br />
relativ jungen Vulkan Sakura-<br />
Jima, der auf einer Halbinsel in<br />
der Bucht von Kagoshima<br />
entstanden ist und seit 1955<br />
ohne Unterbrechung aktiv war.<br />
350 Jahre nach Entdeckung der Mondkrater<br />
markierten die ersten Weltraumflüge einen<br />
nicht minder wichtigen historischen Wendepunkt:<br />
Erstmals konnte der Mensch seinen<br />
Planeten als Ganzes betrachten – nicht<br />
nur anhand von Karten, Globen und anderen<br />
Modellen, sondern mit bloßem Auge. Seitdem<br />
wurden per Satellit immense Datenmengen<br />
über die Beschaffenheit der Erde<br />
gesammelt – angefangen von der Vegetation<br />
bis hin zur Luftverschmutzung oder zur<br />
Bewegung des grönländischen Inlandeises.<br />
Websites wie Google Earth ermöglichen es<br />
heutzutage, per Computer zu jedem noch so<br />
entlegenen Punkt auf der Erde zu ‚reisen‘ und<br />
diesen detailliert zu betrachten. Doch trotz<br />
der rapide wachsenden Zahl an wissenschaftlichen<br />
Beweisen, Modellen und Bildern fällt es<br />
uns schwer, eine konkrete Vorstellung von der<br />
Erdoberfläche und den gewaltigen, heute oft<br />
künstlich erzeugten Kräften zu entwickeln,<br />
die sie verändern. Dies zeigt sich an Bildern<br />
von Fotografen wie David Maisel. Seine<br />
Black Maps von hoch verseuchten Gebieten<br />
wie dem Great Salt Lake in Utah oder dem<br />
Owens Lake in Kalifornien zeigen zerklüftete,<br />
blasige Strukturen in Rot, Schwarz und<br />
Weiß, die nur schwer zu interpretieren sind,<br />
obgleich sie größtenteils durch Menschenhand<br />
entstanden. Was auf den ersten Blick<br />
schön erscheint, löst bei genauerem Hinsehen<br />
Entsetzen aus, wenn der Betrachter erfährt,<br />
was er auf den Bildern eigentlich sieht. „Die<br />
Erde blutet. Ein roter Fluss windet sich wie<br />
eine Schneise durch ein ausgebleichtes Tal zu<br />
einem See, der nicht mehr existiert. Aus der<br />
Luftperspektive wirken der Fluss und sein<br />
trockener Endpunkt wie Erscheinungen aus<br />
dem Jenseits“, schrieb Diana Gaston über<br />
Maisels Bilderserie Lake Project in der Zeitschrift<br />
‚Aperture‘ 2 . Maisel selbst beschreibt<br />
seine Werke an der Grenze zwischen Schönheit<br />
und Zerstörung so: „Mein Interesse gilt<br />
Bildern, die einerseits grausam oder abstoßend<br />
wirken, andererseits aber eine gewisse<br />
Formschönheit und emotionale Resonanz in<br />
sich tragen. Die Fotografien der Black Maps<br />
betrachte ich als Elegien verwüsteter Landschaften<br />
[....]. Aus der Luftperspektive können<br />
die kümmerlichen Überreste des Sees<br />
unterschiedlichste Gestalt annehmen: ein<br />
blutiger Strom, ein Mikrochip, eine durchtrennte<br />
Vene oder eine galaktische Karte.<br />
Wenn der Tod die Mutter der Schönheit ist,<br />
wie Wallace Stevens sagte, kann man das<br />
Lake Project als Autopsie des Sees verstehen<br />
– eine moderne Version der Erhabenheit,<br />
die ich höchst beeindruckend finde.” 3<br />
Während David Maisel die (zerstörte)<br />
Erdoberfläche durch ‚scheinbar schöne‘ Luftaufnahmen<br />
dokumentiert, dient sie dem britischen<br />
Bildhauer Andy Goldsworthy als<br />
Ausgangspunkt für seine zumeist vergänglichen<br />
Kunstwerke auf einer ganz anderen<br />
Maßstabsebene. Natürliche Materialien, die<br />
Goldsworthy meist ohne mechanische Hilfsmittel<br />
bearbeitet und sorgfältig neu arrangiert,<br />
zeugen in diesen Werken nicht von<br />
ökologischen Katastrophen, sondern erzählen<br />
von den leisen, langfristigen und oftmals<br />
subkutanen Veränderungen in unserer Kulturlandschaft.<br />
Laut Goldsworthy „ist die<br />
Natur von immenser Schönheit, gleichzeitig<br />
aber äußerst enervierend und manchmal<br />
durchaus erschreckend. Wer jemals in einem<br />
vom Sturm verwüsteten Wald stand oder<br />
Naturgewalten hautnah miterlebte, weiß,<br />
wovon ich rede. In der Natur trifft man allerorts<br />
auf Vernichtung, Absterben und Verfall,<br />
aber auch auf Wachstum und Leben. Manchmal<br />
fällt es schwer, mit dieser unglaublichen<br />
Lebenskraft und Energie umzugehen. Ich<br />
möchte die Natur keinesfalls romantisieren,<br />
sicher aber spüre ich deren Schönheit –<br />
eine Schönheit allerdings, die unterschwellig<br />
extreme Gefühle auslöst.“ 4<br />
Sowohl Maisels als auch Goldsworthys<br />
Werke sind so ausdrucksstark, dass sie eine<br />
nachhaltige Veränderung unserer Wahrnehmung<br />
der Umwelt bewirken und vermutlich<br />
auch unsere Einstellung zur Natur beeinflussen.<br />
Interessanterweise behauptet aber keiner<br />
der beiden Künstler, diesen Effekt auf den<br />
Betrachter bewusst erzielen zu wollen. „Auch<br />
wenn ich dies mit meinen Arbeiten nicht beabsichtige,<br />
richten sie doch das Augenmerk auf<br />
die Belange der Umwelt“, sagt Goldsworthy.<br />
„Ich weiß nicht, wie oder warum sie das tun,<br />
aber ich bin froh, dass es so ist. Doch wenn<br />
diese Wirkung auf den Betrachter zur Intention<br />
meiner Arbeit würde, würde das die<br />
Bedeutung der Werke als solche mindern.“ 5<br />
Ebenso schreibt Anne Wilkes Tucker über<br />
David Maisel: „Obgleich [er] die Misshandlung<br />
der Umwelt durch den Menschen verurteilt,<br />
gelten seine vorwiegenden Interessen<br />
ästhetischen und philosophischen Aspekten.<br />
Bestens vertraut mit den Ideen und Kunstwerken<br />
von Robert Smithson, stellt Maisel<br />
genau wie dieser den Prozess von Wahrnehmung<br />
und Erkenntnis in Frage.” 6<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
http://www.davidmaisel.com/<br />
fine_bl_lake_info.asp<br />
http://www.davidmaisel.com<br />
/infopages/inf_his.html<br />
Zitiert in einem Artikel von Oliver Lowenstein;<br />
siehe http://www.resurgence.org/resurgence/issues/lowenstein207.htm<br />
Lowenstein, s.o.<br />
http://www.davidmaisel.com/<br />
fine_bl_term_info.asp<br />
20 D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05