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DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl

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KÜNSTLICHE HÜLLEN UND<br />

‚INTELLIGENTE’ MATERIALIEN<br />

Der Einfluss menschlicher Haut und anderer<br />

natürlicher Hüllen auf Technologie, Design<br />

und Architektur ist vielfältig; er reicht von<br />

ihrer erotischen Anziehungskraft, Flexibilität<br />

und Weichheit bis zu ihren Fähigkeiten, sich<br />

der Temperatur und Lichteinwirkung anzupassen.<br />

Ellen Lupton schreibt: „Moderne<br />

Designer betrachten die Oberflächen von<br />

Produkten und Gebäuden als ähnlich komplex<br />

und multifunktional [wie die Haut]. Künstlich<br />

hergestellte ‚Hüllen’ sind hoch reaktionsfähige<br />

Substanzen, die die Bedeutung, Funktion<br />

und Dimension von Objekten modulieren.” 12<br />

Bis zu einem gewissen Grad finden sogar<br />

die selbstheilenden Eigenschaften der Haut<br />

Anwendung in der modernen Technik; so können<br />

beispielsweise Autolacke dank ihrer viskosen,<br />

zähflüssigen Konsistenz kleine Kratzer<br />

‚ausbügeln’. Anderes Beispiel sind ‚selbstheilende‘<br />

Hüllen für pneumatische Strukturen,<br />

auf deren Innenfläche eine dünne Schicht aus<br />

Polyurethanschaum aufgetragen wird. Bei<br />

Durchbohrung der Membran wird der PU-<br />

Schaum durch den Überdruck in der Kammer<br />

in das Loch gepresst und verschließt die<br />

undichte Stelle.<br />

Kleidung und Gebäude werden oft als<br />

zweite und dritte ‚ Häute’ des Menschen<br />

bezeichnet, die die Aufgabe haben, den<br />

menschlichen Körper zu schützen. Im Idealfall<br />

sollten sie daher ähnlich anpassbar sein wie<br />

unsere Haut. Entsprechende Möglichkeiten<br />

bietet die Entwicklung ‚intelligenter’ Materialien,<br />

die ihre Eigenschaften dem jeweiligen<br />

Umfeld anpassen, sobald sie wechselnden<br />

Einflüssen wie Wärme, Licht, Druck, elektrischen<br />

oder magnetischen Feldern ausgesetzt<br />

sind. Italienische Textiltechniker<br />

haben einen Stoff aus einer Form-Gedächtnis-Legierung<br />

(Shape Memory Alloy) entwickelt,<br />

der dafür sorgt, dass sich Hemdärmel<br />

bei einer bestimmten Temperatur automatisch<br />

hochziehen. In andere Kleidungsstücke<br />

werden Peltier-Elemente eingearbeitet, die<br />

unter Stromeinwirkung für aktive Kühlung<br />

sorgen. Die amerikanische ‚No Contact-Jacke’<br />

hält auf Knopfdruck mögliche Angreifer<br />

durch Erzeugung einer elektrischen Spannung<br />

auf ihrer Oberfläche ab. 13 Kluge Technik<br />

hat aber durchaus auch poetische Seiten:<br />

Die von dem italienischen Unternehmen Cute<br />

Circuit entwickelten ‚F+R Hugs’-T-Shirts<br />

werden im Doppelpack geliefert und kommunizieren<br />

mittels Bluetooth-Technologie<br />

miteinander. Wird ‚sein‘ oder ‚ihr‘ T-Shirt an<br />

einer bestimmten Stelle berührt, sorgen integrierte<br />

Stromleitungen im Shirt des Partners<br />

für eine ähnliche ‚Streichelbewegung’ an entsprechender<br />

Stelle.<br />

In einem Buch über den Ingenieur Werner<br />

Sobek vergleicht Werner Blaser den Bewohner<br />

eines traditionellen Hauses mit einem Einsiedlerkrebs,<br />

der seine Behausung immer dann<br />

wechselt, wenn sie zu klein oder zu groß wird<br />

oder ansonsten unangemessen ist. Blaser<br />

fragt dann: „Doch ist es richtig, in dieser veränderten<br />

und sich stets verändernden Welt<br />

‚konstant’ zu bauen? [...] Die physikalischen<br />

Eigenschaften unserer Gebäude sind konstant,<br />

obwohl die Innen- wie die Außenwelt<br />

permanent veränderlich auf sie einwirken.” 14<br />

Blasers Buch wurde 1999 veröffentlicht,<br />

und die Bautechnik hat seither viele Neuerungen<br />

erlebt. Dennoch ist das von Sobek in<br />

den 90er-Jahren entwickelte Konzept einer<br />

idealen Gebäudehülle auch heute noch aktuell.<br />

Anstatt die Hülle eines Gebäudes als multifunktionalen<br />

‚Allrounder’ zu betrachten,<br />

plädierte Werner Sobek dafür, sie ähnlich<br />

wie die menschliche Haut aus hochspezialisierten<br />

monofunktionalen ‚Zellen’ zusammenzusetzen,<br />

die jeweils unterschiedliche<br />

Aufgaben wie Lichtübertragung, Energieaufnahme<br />

oder Belüftung erfüllen. Abhängig<br />

von Budget und Verfügbarkeit könnten<br />

diese Zellen auf unterschiedlichem technischen<br />

Niveau produziert werden, angefangen<br />

von mechanisch oder elektromechanisch<br />

betriebenen Elementen bis hin zu solchen, die<br />

auf chemischer oder mikrobiologischer Basis<br />

arbeiten. Werner Sobek schreibt: „Adaptive<br />

Systeme und Mechanismen werden in<br />

wenigen Jahren ein fester Bestandteil des<br />

täglichen Lebens sein. Automatische, selbstlernende<br />

Abstandsregelungen bei Automobilen<br />

sind bereits heute verfügbar. Adaptive<br />

Herzschrittmacher, die nicht mit einer konstanten<br />

Frequenz arbeiten, sondern auf<br />

äußere physiologische Randbedingungen<br />

wie Bewegungen reagieren, sind genauso in<br />

der Entwicklung wie aktive Prothesen und<br />

Implantate mit sensorischen Funktionen [...]<br />

Adaptive Systeme zur Geräuschreduktion<br />

und Gläser mit variabler Lichttransmission<br />

werden im Bauwesen genauso selbstverständlich<br />

werden wie die aktive Beeinflussung<br />

von Kraftzuständen, Verformungen und<br />

Schwingungen, insbesondere bei den Tragwerken<br />

des Leichtbaus.”<br />

2004 konstruierten Werner Sobek und<br />

sein Assistent Markus Holzbach am ILEK-<br />

Institut der Universität Stuttgart den experimentellen<br />

Pavillon ‚Paul’, um das Potenzial<br />

adaptiver Materialien im Bauwesen zu<br />

demonstrieren. ‚Paul’ ist eine kokonartige<br />

Leichtbaustruktur, deren Hülle aus mehreren<br />

Membranschichten besteht. Diese übertragen<br />

nicht nur Tageslicht und strahlen künstliches<br />

LED-Licht aus, sondern sorgen auch für<br />

eine adäquate Wärmeisolierung durch einen<br />

neuartigen, keramischen Werkstoff und speichern<br />

die Sonnenwärme in einem PCM-Material.<br />

(Bei solchen Speicherstoffen handelt es<br />

sich um mikroverkapselte Paraffine, die bei<br />

Wärmeeinwirkung von festem in flüssigen<br />

Zustand übergehen und somit die Wärmeenergie<br />

speichern können, ohne ihre Temperatur<br />

zu verändern.) Pauls Außenhaut ist<br />

zwar nur 1,4 Zentimeter dick, ihre thermische<br />

Masse entspricht jedoch einer 15 Zentimeter<br />

starken Massivwand. Technisch gesehen ist<br />

die Konstruktion des Pavillons äußerst simpel;<br />

die einzelnen Segmente sind nur durch<br />

Klettverschlüsse verbunden und können<br />

problemlos manuell montiert und demontiert<br />

werden. 15<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

Ellen Lupton (Hrsg.): Skin. Surface, Substance<br />

+ Design, S. 23<br />

Axel Ritter: Smart Materials. Birkhäuser Verlag<br />

2007, S. 16-19<br />

Werner Blaser: Werner Sobek. Ingenieurkunst.<br />

Birkhäuser Verlag 1999, S. 50<br />

http://www.tec21.ch/pdf/<br />

tec21_4120052942.pdf<br />

25

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