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DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl

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MATERIE UND METAPHER:<br />

DIE MENSCHLICHE HAUT<br />

Gegenüber:<br />

Gary Schneider: John In Sixteen<br />

Parts, 1995<br />

Wie in vielen seiner Porträts<br />

dekonstruiert Gary Schneider<br />

auch hier das menschliche<br />

Antlitz. Obwohl keine der Aufnahmen<br />

das Gesicht als Ganzes<br />

zeigt, ergänzen sich die Einzelansichten<br />

im Unterbewusstsein<br />

des Betrachters doch zu einem<br />

Gesamtbild.<br />

In ihrem Buch ‚Skin. Surface, Substance<br />

+ Design‘ schreibt Ellen Lupton: „Die Haut<br />

ist ein vielschichtiges und multifunktionales<br />

Organ, das unseren gesamten Körper<br />

bedeckt, sei sie dick oder dünn, fest oder lose,<br />

feucht oder trocken. Dank ihrer ‚Lernfähigkeit’<br />

reagiert die Haut auf Wärme und Kälte,<br />

leichte Berührung und Schmerz. Grenzenlos<br />

bekleidet sie unsere gesamte äußere Körperhülle<br />

und erstreckt sich bis in unsere inneren<br />

Organe. Sie ist sowohl lebendig als auch tot –<br />

ein selbstheilendes, selbsterneuerndes Material,<br />

dessen Außenhülle gefühllos und inert<br />

ist, dessen innere Schichten aber von Nerven,<br />

Drüsen und Kapillaren durchzogen sind.” 7<br />

Flächenmäßig gesehen ist die Haut unser<br />

größtes Körperorgan. Sie ist nicht nur verantwortlich<br />

für unseren Tastsinn, sondern<br />

dient auch anderweitig der Kommunikation<br />

mit der Umwelt: „Haut kann erröten oder verblassen,<br />

sich sträuben und schwitzen, blau<br />

vor Kälte oder rot vor Ärger und im metaphorischen<br />

Sinne grün vor Neid werden. Die Haut<br />

kommuniziert durch Hormonsignale – so<br />

genannte Pheromone –, die vermutlich durch<br />

spezielle Geruchszellen aufgenommen werden.”<br />

8 Die Haut schützt den menschlichen<br />

Körper gerade deshalb, weil ihre äußeren<br />

Schichten aus toten, komprimierten Zellen<br />

bestehen, durch Lipide zu einer wasserabweisenden<br />

Oberfläche zusammengefügt.<br />

Die vermutlich faszinierendste Eigenschaft<br />

der Haut ist ihre Fähigkeit der Selbstheilung:<br />

An Wundstellen bildet sich heilender Schorf,<br />

aktive Hautzellen wandern von den Rändern<br />

der Wunde zur Mitte und tragen zu deren<br />

Heilung bei.<br />

Auf Sonnenlicht reagiert die Haut unterschiedlich<br />

– durch Bräune und durch Rötung –,<br />

und diese Zwiespältigkeit reflektiert die Einstellung<br />

des Menschen zur Sonne, die seit<br />

jeher von einer Mixtur aus Anbetung und<br />

Furcht geprägt war. Die Hautfarbe (also ihr<br />

‚Dunkelungsgrad’) ist abhängig von Stärke<br />

und Art der hautimmanenten Melaninpigmente,<br />

die nicht nur genetisch bedingt sind,<br />

sondern auch von dem Maß der UV-Strahlung<br />

abhängen, der wir uns aussetzen. Die<br />

Anthropologen Nina Jablonski und George<br />

Chaplin fanden sogar heraus, dass sich die<br />

Hautfarbe von Urvölkern trotz ihrer vorhandenen<br />

genetischen Veranlagung in weniger<br />

als 1000 Jahren dauerhaft veränderte,<br />

wenn sie ihr Siedlungsgebiet in andere Breitengrade<br />

verlagerten. 9<br />

Melanin bestimmt nicht nur unsere Hautfarbe,<br />

sondern hat noch eine zweite Funktion:<br />

Es schützt die tieferen Hautschichten<br />

vor übermäßiger UV-Strahlung, die zu vorzeitiger<br />

Hautalterung führt und die Vitamin-B-Synthese<br />

spaltet. Andererseits ist<br />

ultraviolettes Licht notwendig für die Produktion<br />

von Vitamin D in unserem Körper, das<br />

seinerseits dafür sorgt, dass wir Calcium aus<br />

unserer Nahrung in unser Verdauungssystem<br />

aufnehmen können.<br />

Haut ist aber auch die ‚Leinwand‘, auf<br />

die jede Kultur ihren eigenen Begriff von<br />

Schönheit und sexueller Attraktivität projiziert.<br />

Diese Vorstellungen ändern sich mit<br />

der Zeit und variieren auch zwischen verschiedenen<br />

Gruppen innerhalb einer Gesellschaft.<br />

In den meisten westlichen Kulturen<br />

wird eine ‚gesunde’ Sonnenbräune als so<br />

attraktiv angesehen, dass hiervon ein ganzer<br />

Industriezweig – die Sonnenstudios – lebt. Im<br />

mittelalterlichen Europa und China hingegen<br />

war gebräunte Haut das Merkmal der Bauern<br />

und anderer Arbeiter unter freiem Himmel;<br />

der Adel legte daher Wert auf blasse Haut<br />

als Indikator für Wohlstand und griff hierfür<br />

sogar auf Blei und andere giftige Substanzen<br />

in Kosmetika zurück, „um den erlauchten weißen<br />

Teint zu erlangen, der für viele im sechzehnten<br />

Jahrhundert und später entstandene<br />

Porträts charakteristisch ist.“ 10<br />

Jugendliche, makellose Haut ist bereits<br />

seit der Antike ein gesellschaftliches Schönheitsideal.<br />

Ohne Unterlass wird sie von der<br />

Kosmetikindustrie propagiert; in der Werbefotografie<br />

werden Falten, Flecken, Härchen<br />

und Poren peinlich genau wegretuschiert.<br />

Andererseits sind Künstler seit den Zeiten<br />

Leonardo da Vincis und Dürers (die als ersten<br />

Maler gelten, die ältere Personen auf realistische<br />

Weise porträtierten) der Faszination<br />

darüber erlegen, was mit der Haut geschieht,<br />

wenn sie altert, beschädigt oder künstlich<br />

verändert wird.<br />

Neuerdings ermöglicht uns die Schönheitschirurgie<br />

sogar, den von Jablonski und<br />

Chaplin beschriebenen Adaptionsprozess zu<br />

beschleunigen: Innerhalb weniger Jahre können<br />

durch den Einsatz rein künstlicher Mittel<br />

‚schwarze’ Menschen zu Weißen werden,<br />

wie ein prominenter Vertreter aus der Welt<br />

des Pop beweist. Das ‚Tissue Engineering‘, ein<br />

Fachgebiet zur „Entwicklung biologischer<br />

Ersatzstoffe, die die Gewebefunktion wiederherstellen,<br />

erhalten, verbessern oder gar<br />

ganze Organe ersetzen“ 11 , ist einer der florierendsten<br />

Bereiche im medizinischen Sektor.<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

Ellen Lupton (Hrsg.): Skin. Surface, Substance<br />

+ Design. Smithsonian Institution / Princeton<br />

Architectural Press 2002, S. 23<br />

Jennifer Tobias in: Ellen Lupton (Hrsg.): Skin.<br />

Surface, Substance + Design, p. 44<br />

www.bgsu.edu/departments/chem/faculty/<br />

leontis/chem447/PDF_files/<br />

Jablonski_skin_color_2000.pdf<br />

http://en.wikipedia.org/wiki/<br />

Semiotics_of_Ideal_Beauty<br />

Langer, R & Vacanti JP, Tissue engineering.<br />

Science 260, 920-6; 1993<br />

D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05<br />

23

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