DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl
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Von Richard Weston.<br />
Drei Jahre dauerte es, bis Jørn Utzon die passenden<br />
Fliesen für die majestätischen Kuppelschalen seiner Oper<br />
in Sydney entwickelt hatte – Fliesen, die exakt die von<br />
ihm gewünschte Wirkung unter wechselnden Lichtverhältnissen<br />
erzielten. Utzons Oper ist nur ein Beispiel von<br />
vielen für die Sensibilität, die die Architekten des 20.<br />
Jahrhunderts bei ihrem Spiel mit Strukturen und Licht<br />
an den Tag legten.<br />
Carl Petersen, der Architekt des viel beachteten Fåborg Museums,<br />
diskutierte bereits 1919 in seinen Lehrvorträgen zur Struktur<br />
an der Königlich Dänischen Kunstakademie die „unerfreulichen<br />
Auswirkungen unbeständiger Strukturen“, wenn zum Beispiel<br />
eine polierte Granitfläche aufgrund der ungleichmäßigen Transparenz<br />
einzelner Steinelemente uneben wirkt. „Ziel sollte sein“,<br />
so erklärte er, „eine Solidität der Materialoberfläche zu erreichen.“<br />
Eine klare Form erfordere somit eindeutige Oberflächen, die durch<br />
Licht und Schatten zusammen mit eventuellen Farb- und Strukturwechseln<br />
modelliert werden und nicht auf „vage oder zufällige<br />
Effekte“ abzielen.<br />
Im selben Jahr entwarf Mies van der Rohe ein gläsernes Hochhaus<br />
für die Berliner Friedrichstraße. Dabei nutzte er exakt die von<br />
Petersen abgelehnten Effekte als Basis einer völlig neuen Architektur.<br />
Durch das unregelmäßige, facettenreiche Profil des Gebäudes<br />
wurde ein ‚Wandteppich’ ständig wechselnder Reflexionen<br />
geschaffen. Er zielt vermutlich darauf ab, die Gezeiten von Ebbe<br />
und Flut im Stadtleben darzustellen – ein seit Baudelaire populäres<br />
Thema des Modernismus.<br />
Wenngleich in nördlichen Gefilden kundgetan, gründete<br />
Petersens Aufruf zur Solidität auf den Vorzügen des konstanten<br />
Lichts im Süden. Dort schaffen Licht und Schatten beeindruckende<br />
Modellierungen, die durch Struktur und Farbeffekte<br />
allein unerreichbar sind. Diese Meinung vertrat auch Alberti in<br />
seinen ‚Zehn Büchern über die Baukunst’. Sein Plädoyer für das<br />
Reine und Weiße als Ausdruck höchster Architekturkunst wurde<br />
zum Bekenntnis der Neoklassizisten. Mies van der Rohe hingegen<br />
orientierte sich bei seinen Glaskonstruktionen an den flüchtigen<br />
Eigenschaften des nördlichen Lichts, die er zehn Jahre später<br />
unter südlicher Sonne im Barcelona-Pavillon aufleben ließ. Dort<br />
erzeugte das komplexe und beeindruckende Spiel des Lichts, das<br />
durch farbiges Glas fällt und von polierten, ornamentalen Steinoberflächen<br />
und Wasserbecken reflektiert wird, einen der atmosphärisch<br />
dichtesten Räume in der Architektur des 20. Jahrhunderts.<br />
regionale lichtunterschiede und ihr einfluss auf die<br />
architektur<br />
Gehen wir einmal davon aus, dass der Norden und der Süden<br />
in ihrer Gegensätzlichkeit von Dematerialisation unter atmosphärischem<br />
Licht und den von Sonnenlicht und Schatten klar<br />
modellierten Formen die Pole des (europäischen) Architekturverständnisses<br />
manifestieren. Dann lassen sich die Architekturströmungen<br />
des 20. Jahrhunderts nicht nur nach den traditionellen<br />
räumlichen und konstruktiven Kriterien, sondern auch nach ihrem<br />
Umgang mit Licht und Material einteilen: Die einen Architekten<br />
nutzen das ausdrucksstarke Potenzial von Materialien und Strukturen,<br />
die anderen unterdrücken dieses Vermögen radikal und<br />
erzielen bestimmte Effekte allein durch natürliches Licht.<br />
Letzterer Ansatz hat die Architektur im Norden und im Süden<br />
gleichermaßen beeinflusst. So hat beispielsweise Juha Leiviskä in<br />
Finnland eine ‚De Stijl’-ähnliche Formensprache aus scheinbar<br />
schwerelosen, durch Licht belebten Ebenen entwickelt: In der Kirche<br />
von Myyrmäki sind alle Flächen weiß und eben deshalb so<br />
faszinierend. Nach seiner eigenen Aussage wollte Leiviskä einen<br />
immateriellen ‚Lichtschleier’ erzeugen; als Vorbild diente ihm die<br />
Doppelschalenkonstruktion von Rokoko-Kirchen. Bei einem späteren<br />
Projekt in Kuopio gestaltete er die versteckten Seitenflächen<br />
rund um den Altar farbig und tauchte die Umgebung in sanft<br />
schimmernde Farben. Denselben Effekt erzielte Steven Holl später<br />
in der St. Ignatius-Kapelle in Seattle.<br />
Unter der hoch stehenden und intensiven Sonne im Süden<br />
Spaniens interpretierte Campo Baeza das Haus Gaspar in Zahora<br />
als befestigten Paradiesgarten. Aber statt auf die Farbenpracht<br />
üppiger Pflanzen und Blumen setzte er voll und ganz auf die Wirkung<br />
natürlichen Lichts und Wassers, die in diesem Projekt die<br />
Natur verkörpern. Die Böden drinnen und draußen sind mit Kalkstein<br />
ausgelegt; das Innere, nahtlos umrahmt von weiß getünchten<br />
Wänden, wird lediglich durch vier große Fensteröffnungen mit,<br />
wie Baeza es nennt, ‚horizontalem’ Licht erfüllt. Durch die Vermeidung<br />
von Schatten verlieren sämtliche Formen ihre Dimensionen,<br />
und unsere Sinne für subtilste Variationen der Lichtfarbe<br />
werden geschärft.<br />
Das von Campo Baeza 1991 fertiggestellte Haus kann teilweise<br />
als Reaktion auf die nachhaltig dogmatische Betonung der Materialqualitäten<br />
verstanden werden, wie sie diverse Architekturschulen<br />
der Nachkriegszeit kennzeichnete. Als deren Vorreiter gilt Le<br />
Corbusier mit seinem béton brut der Unité d’habitation von Marseille<br />
und dem ‚bäuerlichen’ Ziegelmauerwerk der Maisons Jaoul<br />
in Neuilly. Ihren überzeugendsten Ausdruck gewann diese Betonung<br />
des Materials dort, wo sie durch die Anpassung an regionale<br />
Gegebenheiten einen verstärkten Ortsbezug entstehen ließ.<br />
D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05<br />
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